Der Vormacher
Kellnern mit rabenschwarzem Haar bedienen lässt. Die Kerze, der Weinkühler, die Tischdecke, Janas schwarzes Kleid, ihre roten Lippen, das Foto an der Wand, alles Kulissen und Kostüm für Janas Lieblingsstück, das sie heute zum letzten Mal aufführt, hier neben dem Bett, in dem sie ihrem Tod entgegenliegt. Luigi kennt seine Rolle, und er spielt sie mit Routine und Überzeugung. Warum soll ich meine Rolle nicht spielen, wie es sich gehört? Ein letzter Abend wie früher für Jana, ein letztes Mal schöne Frau im Restaurant sein, ein letztes romantisches Rendezvous bei Kerzenlicht …
Ich lächle, aber jetzt ist es ein echtes Lächeln. Ich verstehe das Spiel, ich kenne meine Rolle, ich will mitspielen. Wenn ich Jana einen Abend lang glücklich machen kann, will ich es tun.
»Die Oliven sind großartig«, bemerke ich. »Willst du eine?«
»Ich hab noch was im Mund«, lacht Jana.
Ich lege die Olive auf ihren Teller. Mit Schafskäse gefüllt. Kommt mir griechisch vor, ist aber sehr lecker. Eigentlich sogar das Einzige, was mir vom Vorspeisenteller wirklich schmeckt.
»Die Oliven sind am besten«, sage ich.
»Weiß ich«, sagt Jana. »Ach, ich bin so glücklich, dass wir noch einmal so zusammen sein können.«
»Das Kleid steht dir ausgezeichnet«, sage ich. »Du bist wunderschön.«
»Alter Schmeichler. Ich weiß, dass ich mager geworden bin.«
»Wer will schon eine dicke Frau? Dann hätte ich eine Sizilianerin geheiratet. Eine dicke Mamma.«
Unbemerkt ist Luigi zu uns getreten.
»Meine Mutter ist aus Sizilien«, sagt er.
»Oh«, sage ich.
»Aber ja, sie ist so groß wie ein Fass. Mamma mia!«, brüllt er. Er schlägt mir auf die Schulter. Wir lachen alle drei. Luigi ist anders als sonst. So was würde er normalerweise nicht sagen, das sprengt seine Rolle, er hat mir noch nie auf die Schulter geschlagen. Aber er meint es ehrlich, er meint es gut, das merke ich.
»Luigi«, sage ich, aus einem Impuls heraus. »Hast du noch ein Glas? Schenk dir auch was ein! Wir haben noch nie zusammen angestoßen.«
Luigi zögert, aber Jana ruft: »Natürlich! Lasst uns anstoßen!«
Luigi holt sich ein Glas und schenkt ein.
»Auf früher«, sage ich, »auf die Abende bei Carlini. Auf uns! Auf Jana, die schönste Frau der Welt. Auf Luigi, den besten Kellner!«
»Auf Henri, meinen geliebten Mann!«
»Auf meine beiden Lieblingsgäste!«
Wir stoßen an. Wir trinken. Luigi hat eine Träne im Auge. Jana strahlt. Ich habe einen Frosch im Hals.
»Ach«, sage ich. Heute Abend liebe ich Jana wirklich, aus ganzem Herzen. Und auf einmal mag ich Luigi, und er mag mich auch, das spüre ich. Wir mögen uns alle drei.
»Könnte es doch immer so sein«, sage ich wehmütig. Jana kommt zu mir und küsst mich. Luigi entschwindet mit dem halb leeren Vorspeisenteller. Die Kerze flackert.
»Ich habe Kerzen immer gehasst«, flüstere ich. »Aber heute –«
Jana streichelt mein Gesicht. Ich glaube nicht, dass sie mich gehört hat. Es ist wie ein Traum, alles ist so klar, so einfach, so schön. Jana lächelt, Luigi taucht auf und verschwindet, es gibt Pasta, dann Fisch, dann eine Pastete, alles ist lecker, alles schmeckt nach Jana, nach uns, nach früher, nach dem guten Früher, das ich unter vielen Lagen Kummer und Selbsthass begraben hatte.
Das Essen dauert Stunden, die wie im Flug vergehen, wir reden, wir schweigen, wir küssen, nach dem Dessert ist Luigi auf einmal verschwunden.
»Ich bin so froh, dass du mit Luigi angestoßen hast«, sagt Jana. »Ich habe immer gedacht, du könntest ihn nicht ausstehen.«
»Das war auch so«, gebe ich zu. »Aber ich bin ja lernfähig –«
Draußen ist es dunkel geworden. Nur die Kerze brennt noch, sie wirft ein warmes, flackerndes Licht auf Janas Gesicht.
Wie ein Gemälde, denke ich. Sie beugt sich vor. Ich verstehe: Der nächste Akt beginnt. Ich schiebe die Kerze aus dem Weg und küsse sie. Sie bläst die Kerze aus. Nur der Mond wirft noch sein bleiches Licht ins Zimmer. Ich stehe auf. Sie fällt mir in die Arme, beinah springt sie mich an. Wir küssen uns, bestimmt eine Minute lang.
»Nimm mich«, haucht sie.
Da bricht der Zauber. Das Spiel ist aus. Die Frau in meinen Armen ist wieder die Jana, mit der ich jahrelang unwillig in einem Haus gelebt habe. Das Zimmer ist wieder ein Krankenhauszimmer, das bleiche Mondlicht bloß eine Straßenlaterne. Aber für Jana ist das Spiel nicht vorbei, oder das Spiel ist kein Spiel, sie zerrt an mir, nagt an mir, lutscht an mir, während ich auf einmal
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