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Der Vormacher

Der Vormacher

Titel: Der Vormacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand Decker
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kalt und unbeweglich werde wie eine Schaufensterpuppe.
    »Bitte«, wispert Jana. Ich kann sie nicht im Stich lassen. Ich muss ins Spiel zurück. Aber die warme, magere, kranke Frau, die sich an mich klammert, als müsste sie sonst ertrinken, ist mir unangenehm; zu wirklich ist das Zimmer, zu sehr fühle ich, dass ich hier nicht hergehöre, dass ich ein Lügner bin.
    »Henri?« Noch einen Moment, und der Traum ist aus, auch für sie. Verzweifelt flüchte ich nach vorn. Stell dir vor, es wäre Theodora! Denk an ihren schlanken Körper, ihr braunes, glattes Haar, ihre Augen, ihre Hosenanzüge. Denk an ihren nackten Fuß, den du gestern gesehen hast, der nackte Fuß, der unter der Bettdecke hervorschaute. Denk an das Bein, das du später gesehen hast, als du dir vor ihrer Tür einen runtergeholt hast, denk an ihren Schoß, ihre nackten, langen Beine im Licht ihrer Nachttischlampe. Denk an ihr Stöhnen, als sie sich selbst gestreichelt hat!
    »Oh«, sagt Jana, als sie meine Erektion spürt.
    »Komm«, sage ich. Die Dunkelheit ist mein Freund. Ich öffne meine Augen so wenig wie möglich. Theodora, denke ich, Theodora, komm, ich fick dich, Theodora. Janas Geruch bedroht die Illusion, ich drücke meine Nase zwischendurch ins frische Bettzeug, das hilft. Und als ich einmal in ihr bin, wird meine Geilheit ganz natürlich, ich traue mich sogar, die Augen zu öffnen.
    »Auf den Fußboden«, flüstert Jana. Sie geht auf die Knie, ich nehme sie von hinten, wie früher in der Küche oder im Wohnzimmer, aber hier gibt es einen Linoleumboden, das macht mich richtig geil. Zum ersten Mal erlebe ich Jana ganz ohne Hemmungen, sie ächzt, sie stöhnt, sie stößt leise Schreie aus. Eben denke ich an die Nachtschwester, dann lasse ich mich treiben, ich denke nicht mehr an Theodora, die Ewigkeit hat mich wieder. Wir kehren aufs Bett zurück, in den Lotussitz, Brust an Brust. Janas Nägel bohren sich in meinen Rücken, sie verzieht das Gesicht, sie seufzt, als sie kommt.
    »Wir sind eins«, sagt sie mit rauer Stimme, »nichts kann mehr zwischen uns kommen.«
    Sie drückt ihren Kopf gegen meine Schulter, ich spüre Tränen auf meiner Haut, und in dem Moment komme ich, ich komme in ihr, und sie kommt noch einmal, mit mir, zum ersten Mal. Zum letzten Mal.
    Die Nachtschwester schaut nicht auf, als ich eine Stunde später die Station verlasse.

 
     
     
     
     
    L angsam steige ich die Treppen zu Theodoras Wohnung hinauf. Es ist gut gegangen, denke ich, es war ein guter Abend, jedenfalls für Jana, ich habe meine Rolle gut gespielt. Charmant und zuvorkommend war ich beim Essen, stark und liebevoll im Bett, ich habe lange durchgehalten, so lange haben wir es schon jahrelang nicht mehr getrieben. Und als ich in ihr kam, habe ich nicht mehr gespielt, es war so, wie sie sagte – wir waren eins, jedenfalls für einen kurzen Augenblick. Aber warum bin ich ausgerechnet in dem Moment gekommen, in dem sie anfing zu weinen? Ich konnte die warme Feuchtigkeit auf der Schulter spüren, und in demselben Moment kam die Explosion zwischen meinen Beinen, die sich meine Wirbelsäule hochgezogen und mich ganz durchgeschüttelt hat. Warum haben mich ihre Tränen so aufgegeilt? Weil ich sie gern leiden sehe? Aber es waren keine Tränen aus Leid, Jana war glücklich in dem Moment, höchstens ein bisschen wehmütig. Die Wahrheit ist: Ihre Tränen haben mich aufgegeilt, weil sie dadurch zeigt, wie sehr sie an mir hängt. Das brauche ich anscheinend. Jana liebt mich. Dabei habe ich an Theodora denken müssen, um überhaupt einen hochzukriegen! Ich bleibe auf dem Zwischengeschoss vor Theodoras Tür stehen und schaue durch das Fenster hinab auf die leere Straße, erleuchtet von ein paar funzeligen Straßenlaternen. Nein, natürlich war es kein Spiel für Jana, es gibt keine Spiele mehr für Jana, bald gibt es gar nichts mehr für Jana. Ich habe ihr etwas vorgelogen heute Abend, von vorne bis hinten habe ich sie verarscht, ich habe gespielt, ich war nicht echt. Aber wäre es nicht viel schlimmer gewesen, wenn ich die Wahrheit gesagt hätte? Ich habe den richtigen Moment zum Schlussmachen verpasst. Ich habe tausend richtige Momente zum Schlussmachen verpasst.

 
     
     
     
     
    M issmutig steige ich die Treppe zu Theodoras Wohnung hinauf und schließe die Tür auf. Im Flur brennt Licht. In der Garderobe hängt eine Jacke, die mir bekannt vorkommt, aber ich komme nicht darauf, woher. Theodora gehört sie jedenfalls nicht. Auf dem Küchentisch stehen Teller mit

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