Der Vormacher
missverstanden werden, wenn uns jemand so sieht.«
»Und?«, flüstert sie, ohne mich loszulassen. »Wäre das so schlimm? Gefalle ich dir nicht?«
»Doch, schon«, sage ich schnell. »Natürlich gefällst du mir. Aber ich bin doch verheiratet.«
Sie lässt von mir ab. Sofort bereue ich, was ich gesagt habe. Eigentlich war ihre Umarmung sehr angenehm, vor allem die Hand mit den spitzen Nägeln am Rücken und der prächtige Busen auf meinem Brustkorb.
Linda grinst.
»Du hast einen Steifen«, sagt sie lapidar. »Leg dich auf den Schreibtisch.«
»Aber – der Laptop«, protestiere ich schwach. Sie klappt ihn zu und legt ihn auf den Stuhl. Dann drückt sie mich auf den Tisch hinunter. Ich bin überrumpelt. Ich lasse mich überrumpeln. Ich weiß es nicht so genau.
»Ich geh nicht gerne auf die Knie, das sieht so unterwürfig aus«, meint sie beiläufig. Dann öffnet sie meine Hose und macht sich ans Werk.
»Weißt du was«, sagt sie mit vollem Mund, »dass ich so geheult habe, das war nicht wegen dem Chef.«
Im selben Moment öffnet sich die Tür, und der Chef steckt seinen Kopf herein. Linda sieht ihn nicht, sie steht mit dem Rücken zur Tür. Ich hingegen stütze mich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab, damit ich Linda besser sehen kann. Eine Sekunde lang schaut der Chef mir voll ins Gesicht. Sein Mund öffnet sich und klappt wieder zu. Dann zieht er den Kopf ein und schließt leise die Tür.
»Bist du sauer?«, fragt Linda, nachdem ich gekommen bin.
»Sauer?«
»Wegen Jana«, sagt sie ernst. »Du bist doch verheiratet.«
»Ach«, sage ich. »Ach ja.« Ich seufze. »Jana.«
»Es ist schwer, hm?«, sagt Linda mitfühlend.
Ich nicke.
»Ich find dich toll«, sagt sie. »Wirklich. Ich wollte eigentlich warten, bis Jana … bis du wieder alleine bist. Aber ich hatte Angst, wegen Theodora.«
Soll ich ihr sagen, dass der Chef uns gesehen hat? Eigentlich braucht sie das nicht zu wissen.
»Ich gehe jetzt nach Hause«, sagt sie. »Für heute reicht es mir.«
»Wollen wir noch was essen gehen?«, schlage ich vor.
»Ein andermal«, wehrt sie ab. »Entschuldige. Das geht alles zu schnell. Ich mag dich. Aber ich geh jetzt nach Hause.«
Als sie weg ist, begreife ich erst, was alles passiert ist in der letzten halben Stunde. Linda mag mich! Und wie sie mich mag. So gut hat mich noch keine geblasen. Soll Emil sich doch mit Theodora verlustieren. Linda hat selbst gesagt, Emil hätte es zuerst bei ihr versucht. Das heißt, dass Theodora eigentlich zweite Wahl ist. Bei dem Gedanken breche ich in Lachen aus. Warum soll ich nicht auch einmal Glück haben? Ich habe Linda immer nur als Kollegin gesehen, na ja, ein- oder zweimal habe ich von ihr geträumt, das schon, aber ich war immer fest davon überzeugt, dass die Sekretärin vom Chef für jeden außer dem Chef selbst tabu ist. Ach, der Chef! Was habe ich in seinem Blick gesehen, als er uns überrascht hat? Entsetzen? Neid? Zorn? Nein, traurig sah er aus, der Chef, wie einer, an dem das Leben vorbeigeht. Ein Chefwurm eben.
Da klingelt das Telefon. Er ist es. Er ruft mich zu sich. Schweigend sitzen wir einander gegenüber. Ich habe keine Angst vor ihm. Was kann er mir schon tun? Er hat Emil vorgezogen, ich habe ihm seine Sekretärin weggeschnappt, wir sind quitt. Falls er das anders sieht, ist das sein Problem.
»Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht«, sagt er vorsichtig. »Kompliment, Hiller, Kompliment.«
Ich nicke gütig.
»Ich habe Sie offen gesagt immer für einen Verlierer gehalten«, fährt er fort. »Ein mittelmäßiger Angestellter, hin und wieder eine gute Idee, aber kein Rückgrat, einer, auf den man sich nicht verlassen kann, wenn man ihm nicht dauernd auf die Finger schaut. Emil, zum Beispiel – Emil ist fünf Jahre jünger, er hat weniger Erfahrung, dafür sind seine Kampagnen viel origineller als Ihre, und er arbeitet mehr.«
Kein Wunder, dass ich immer die Gedächtnispastillen und die elektrischen Treppenaufzüge machen musste.
Der Chef schüttelt den Kopf.
»Aber jetzt durchschaue ich das, Hiller. Sie arbeiten mit halber Kraft, weil Ihnen anderes wichtiger ist. Frauen, Essen, Liebe, das schöne Leben. Es ist kein Wunder, dass Linda sich Ihnen zu Füßen wirft. Sie arbeiten, um zu leben, nicht andersrum. Sie sind souverän; das mögen Frauen. Und was ich für Unterwürfigkeit gehalten habe, war in Wirklichkeit Gleichgültigkeit.«
Der Chef spricht im Brustton der Überzeugung. Ich könnte ihm beinahe Glauben schenken, wenn ich es nicht besser
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