Der Vormacher
danach gefragt hatte. Er hat gesagt, er wolle das Büro einmal ganz für sich haben, also auch das Vorzimmer, weil er ungestört nachdenken wolle. Das kam mir komisch vor. Hast du Gustaf schon mal nachdenken gesehen? Der entscheidet doch alles immer aus dem Bauch, à la minute, gewissermaßen. Eigentlich wollte er mich nur aus dem Weg haben, er weiß, dass ich so einiges mitkriege, seine eigene Schuld, er lässt ja immer die Tür offen. Er wirkte irgendwie seltsam. Beinah ein bisschen ängstlich.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, werfe ich ein. »Der Chef, ängstlich!«
»Oh, das habe ich schon öfter erlebt«, sagt Linda selbstbewusst. »Als Sekretärin sieht man so was. Nein, das Krasse war, dass er seitdem total geladen ist, er knurrt wie ein wildes Tier, manchmal tritt er sogar gegen seinen Mülleimer, dass es scheppert.«
»Das hat er halt manchmal«, gebe ich zu bedenken. Ich habe das Gefühl, dass Linda sich ein bisschen aufspielen will mit ihrem besonderen Draht zum Chef.
Linda schüttelt den Kopf, als ob sie meine Skepsis abwehren möchte.
»Gestern ist irgendwas passiert, da bin ich mir sicher. Warst du nicht im Büro? Hast du nichts mitbekommen?«
»Nein«, antworte ich.
»Mysteriös«, sagt Linda. Dann lacht sie. »Themawechsel! Ist dir schon aufgefallen, wie oft Emil und Theodora sich in letzter Zeit ganz zufällig im Gang begegnen?«
Ich nehme Theodora in Schutz.
»Er steigt ihr nach«, sage ich trocken, »aber ich glaube, er ist auf dem Holzweg.«
Linda mustert mich aufmerksam. Es ist mir unangenehm, so angestarrt zu werden, aber das lasse ich mir nicht anmerken, das weckt nur Verdacht.
»Ach«, sage ich leichthin, »was weiß ich. Vielleicht gefällt sie ihm ja, und er gefällt ihr. Was soll’s? Ich gönne ihnen ihr junges Glück.«
Aber einen Stich in der Brust fühle ich doch, als ich mich das sagen höre.
»Er hat sie geküsst«, sagt Linda mit einem Unterton, den ich nicht zu deuten weiß.
»Geküsst?«, frage ich so ruhig wie möglich.
»Aufs Ohr, von hinten«, sagt Linda. »Am Kopierer.«
»Und?«
»Und was?«
»Und sie? Wie hat sie reagiert?«
»Sie hat ihren Kopf weggezogen«, sagt Linda.
»Na also«, sage ich zufrieden.
»Aber gesagt hat sie nichts«, stellt Linda fest. »Und unglücklich sah sie auch nicht gerade aus.«
Und dann sagt sie den Satz, bei dem mir kotzübel wird: »Ich glaube, die beiden ficken.«
Ich starre sie an.
»Pardon«, sagt Linda. »Schlafen miteinander.«
T heodora und Emil? Unmöglich. Die beiden passen überhaupt nicht zueinander. Und hätte ich nicht was merken müssen? Schließlich wohnen wir in einer Wohnung, ich müsste doch was gehört haben. Und Theodora interessiert sich doch für mich, mit mir will sie schlafen, nicht mit diesem Schleimer mit seiner Gitarre! Ich zucke innerlich zusammen, als ich daran denke, dass Theodora tatsächlich immer Gitarrenmusik hört, sie hat einen ganzen Stapel selbst gebrannter CDs in der Küche liegen, vor ihrer kleinen Stereoanlage.
»Das höre ich erst seit Kurzem«, hat sie gesagt, »sind von einem Freund. Gitarre ist so ein sinnliches Instrument.« Ich erinnere mich, dass sie dabei versonnen in die Ferne schaute, sie sah auf einmal ganz glücklich aus, ich dachte, das käme von der Musik, aber vielleicht dachte sie dabei an Emils Schwanz, der sie im Rhythmus seiner beschissenen Gitarrenmusik stößt. Emils Schwanz! Warum denn nicht meiner? Hat sie mir nicht im Kino eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie mich will und keinen anderen? Bin ich zu zurückhaltend gewesen, so zurückhaltend, dass sie bei jemand anderem Befriedigung suchen musste? Habe ich das Spiel vom treuen Ehemann vielleicht zu gut gespielt, so gut, dass sie ganz aufgegeben hat? Will sie mich am Ende gar nicht mehr?
Es ist schon komisch, dass diese ominöse Joggfreundin nie bei uns auftaucht, immer geht sie zu ihr, niemals andersherum. Nein, das stimmt nicht ganz, es waren schon zweimal Freundinnen von ihr da, aber keine sah aus wie jemand, dem es so schlecht geht, dass sie dreimal die Woche Hausbesuch von ihrer Freundin Theodora nötig hat. Ach, was bin ich blind gewesen. Ich träume vor mich hin, wichse hinter einem blöden Tantrabuch mit noch blöderen Sexbildern von irgendwelchen indischen Fickakrobaten, und währenddessen reißt Emil sich die schönste Frau im Büro untern Nagel, meine Theodora.
Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich im Auto von der Arbeit zu meiner neuen Bleibe fahre. Aber
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