Der Wachsblumenstrauß
erinnerte sich Mr Entwhistle, war die Sache mit Lansquenet passiert – Pierre Lansquenet, ein halber Franzose. Sie hatte ihn an einer Kunstakademie kennen gelernt, wo sie Unterricht im Malen von Blumenaquarellen genommen hatte, was ja durchaus schicklich war. Aber irgendwie war sie in den Kurs für Aktmalerei geraten, und dort war sie Pierre Lansquenet begegnet, war nach Hause gekommen und hatte verkündet, sie wolle ihn heiraten. Richard Abernethie hatte energisch Einspruch erhoben – dieser Pierre Lansquenet gefiel ihm nicht, und er vermutete, dass der junge Mann im Grunde nur auf eine wohlhabende Ehefrau aus war. Aber noch während er Nachforschungen über Lansquenets Herkunft anstellte, war Cora mit dem Kerl durchgebrannt und hatte ihn kurzerhand geheiratet. Den Großteil ihrer Ehe hatten die beiden in der Bretagne, in Cornwall und anderen Künstlerkolonien verbracht. Lansquenet war ein sehr schlechter Maler gewesen und, wie es hieß, kein sehr netter Mann, aber Cora hatte ihn hingebungsvoll geliebt und ihrer Familie nie verziehen, dass sie ihn nicht freundlich aufgenommen hatte. Richard hatte seiner jüngsten Schwester auf seine großzügige Art jedes Jahr eine Leibrente ausgezahlt, und von dem Geld hatten die beiden gelebt, soweit Mr Entwhistle wusste. Er bezweifelte, dass Lansquenet je auch nur einen Penny verdient hatte. Jetzt war er wohl schon seit zwölf oder mehr Jahren tot. Und hier war nun die Witwe, nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder im Haus ihrer Kindheit. Sie hatte ihre beinahe kissenförmige Figur in wehendes Künstlerschwarz gekleidet, mit vielen Jett-Schnüren um den Hals. Sie ging im Raum umher, fasste alles an und freute sich überschwänglich, wenn sie auf eine kindliche Erinnerung stieß. Sie gab sich wenig Mühe, Trauer über den Tod ihres Bruders vorzutäuschen. Aber eigentlich, so dachte Mr Entwhistle, hatte Cora Gefühle ja nie vorgetäuscht.
Jetzt trat Lanscombe wieder in den Raum und murmelte in gedämpfter, dem Anlass angemessener Stimme: »Das Mittagessen ist aufgetragen.«
Zweites Kapitel
N ach der delikaten Hühnercremesuppe und reichlich kalten Fleischplatten, serviert mit einem köstlichen Chablis, hob sich die Stimmung der Trauergesellschaft ein wenig. Niemand war über Richard Abernethies Tod wirklich betrübt, denn niemand war ihm wirklich nahe gestanden. Alle hatten sich gebührend schicklich und gedämpft verhalten (mit Ausnahme von Cora, die keine Hemmungen kannte und unverkennbar Spaß hatte), aber nun herrschte das Gefühl vor, dass dem Anstand Genüge getan war und man zu einer normalen Unterhaltung übergehen konnte. Mr Entwhistle befürwortete diese Entwicklung durchaus. Er hatte Erfahrung mit Beerdigungen und wusste, wann der Zeitpunkt für eine Lockerung des Tons gekommen war.
Nach dem Essen erklärte Lanscombe, Kaffee werde in der Bibliothek serviert. Das gebot sein Gefühl für Anstand. Die Zeit war gekommen, um das Geschäftliche – in anderen Worten: das Testament – zu besprechen. Dafür bot die Bibliothek mit ihren Bücherschränken und den schweren Vorhängen aus rotem Samt die richtige Atmosphäre. Nachdem er den Kaffee serviert hatte, zog er sich zurück und schloss die Tür hinter sich.
Nach dem Austausch einiger banaler Höflichkeiten richteten sich zögerlich immer mehr Augenpaare auf Mr Entwhistle. Er griff die Andeutung mit einem Blick auf seine Uhr sofort auf.
»Ich muss den Zug um 3.30 Uhr erreichen«, begann er.
Offenbar wollten auch andere diesen Zug nehmen.
»Wie Sie wissen, bin ich Richard Abernethies Testamentsvollstrecker…«
Er wurde unterbrochen. »Ich habe das nicht gewusst«, sagte Cora Lansquenet munter. »Wirklich? Hat er mir etwas vererbt?«
Nicht zum ersten Mal hatte Mr Entwhistle das Gefühl, dass Cora eine Vorliebe für unpassende Bemerkungen hatte.
Er warf ihr einen tadelnden Blick zu. »Bis vor einem Jahr war Richard Abernethies Testament sehr einfach«, fuhr er fort. »Von einigen Legaten abgesehen, wollte er alles seinem Sohn Mortimer vermachen.«
»Der arme Mortimer«, warf Cora ein. »Kinderlähmung ist einfach schrecklich.«
»Mortimers tragischer und plötzlicher Tod war ein schwerer Schlag für Richard. Er brauchte mehrere Monate, um darüber hinwegzukommen. Ich erklärte ihm, dass es vielleicht ratsam wäre, ein neues Testament aufzusetzen.«
Maude Abernethie fragte mit ihrer tiefen Stimme: »Was wäre passiert, wenn er kein neues Testament aufgesetzt hätte? Wäre dann… wäre dann alles an Timothy
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