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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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umherzuschweben – der ganze Sommer war entrückt wie ein ferner Traum, der das Bewusstsein nur am Rande erreichte.
    Thorvald Einarsson war und blieb der unangefochtene Meister im Luftanhalten. Eine Ewigkeit konnte er unter Wasser bleiben und nur an den aufsteigenden Luftblasen ließ sich sein Aufenthaltsort vage ausmachen. Olga hatte jedes Mal große Angst um ihn, sah ihn schon auf dem Grund des Sees in dem alten Autowrack sitzen, das seitEwigkeiten dort lag. Die weißblonden Haare schwebten wie goldene Bänder um seinen Kopf. Die wasserblauen Augen weit geöffnet schien er den Gesängen der Meerjungfrauen zu lauschen. Thorvald ließ das natürlich völlig kalt. Er wollte sogar noch eine Verdoppelung der Zeit erreichen.
    Olga war dann und wann auch ins Wasser gegangen, aber die Erzählungen vom zwei Meter langen Hecht, der pfeilschnell, mit siebenhundert Zähnen bewehrt, scharfäugig und gefräßig auf sie zuschoss, hatten bewirkt, dass sie nur ganz kurz ins Wasser rutschte, um sich abzukühlen, und dann sofort wieder aufs Floß kletterte. Selbst den Fuß ließ sie nie zu lange ins Wasser hängen.
    Hanna schien es überhaupt nicht zu stören, dass sie nicht willkommen war. Sie genoss die Fahrten in vollen Zügen und war eine fleißige Späherin, verantwortungsbewusst und sehr genau.
     
    Als sich der Graureiher mit lautem Getöse aus seiner Starre löste und unbeholfen davonflog, wurden die Flößer aufgeschreckt. Irgendetwas war dort hinten. Ein Stück vom Ufer entfernt, hinter den Rohrkolben, nahe der alten Schwarzerle. Etwas, das größer sein musste als ein Eichhörnchen, sonst hätte der Reiher nicht reagiert.
    Thorvald besah sich gerade das Floß von unten, den Gipsarm hatte er mit einer Plastiktüte abgedichtet, und Hanna starrte mit ihrer Schwimmbrille ins Wasser und hörte sowieso nichts. Benno behauptete später, oben auf dem Plateau einen großen dunklen Schatten gesehen zu haben. Olga glaubte, unterhalb der Klippen, so nannten sie die Felsen an einer Seite des Sees, ein Reh bemerkt zu haben. Dann war es wieder still. Unheimlich still. Alle lagen bewegungslos da und lauschten. Selbst der wiederaufgetauchte Thorvald hielt inne und glitt geräuschlos neben dem Floß hin und her.
    Zehn Minuten vergingen, dann entspannte sich die Situation wieder.
    Erst der laute Aufschrei Thorvalds, der wie wild im Wasser strampelte, weil er nach unten gerissen wurde, verwandelte die gerade einsetzende Entspannung der anderen in vollendete, nackte Panik. Der Siebenhundert-Zähne-Hecht!
    Die drei kreischten los, fingen an zu heulen und drückten sich in der Mitte des Floßes zu einem elenden Häufchen Angsthasen zusammen. Thorvald überließen sie dem gefräßigen Untier. Er war verloren.
    Dann ein Lachen. Ein grässliches Lachen. Das verängstigte Knäuel löste sich langsam wieder auf, in den Gesichtern der Kinder lag echte Verblüffung. Sie blickten umher, konnten aber nichts entdecken. Dann wieder dieses unverschämte, hämische Lachen.
    Erst als sich Juliane, vor Spaß ganz außer Atem, am Floß hochzog und nass und schwer auf das Holz platschte, schlug das Erstaunen in Wut um. Doch die wüsten Beschimpfungen prallten an ihr ab, sie war zufrieden mit ihrem Unterwasserangriff. Sie hatten sie für ein Reh oder einen großen Vogel gehalten. Keiner der Späher hatte sie am Ufer bemerkt. Auch nicht, als sie ins Wasser geglitten und unter das Floß getaucht war, um Thorvald zu packen und ihn ins Reich der Seeungeheuer zu zerren.
    Oh, sie habe die geheime Aktion schon lange beobachtet! Und wie stümperhaft sie das Floß versteckt hätten. Und wie schwierig es gewesen sei, unbemerkt bis zum See zu gelangen, denn auf dem Felsen seien Leute gewesen. Juliane erzählte und erzählte. Sie war eine Schwatzbacke, schlimmer noch als Hanna, und Thorvald undBenno dachten, jeder für sich, darüber nach, wie sie die beiden wieder loswerden könnten. Käme jetzt nur der Hecht!
    Die Sonne stand schon tief und brannte nicht mehr so stark. Endlich hatten auch die Mädchen mit dem Schwatzen aufgehört. Das Licht war warm und orangerot. Alles war wieder ruhig.

1
    Die Unbefangenheit, mit der sie früher im Wald umhergestreift war, hatte sich in eine steife Unsicherheit gewandelt. Das satte grüne Laub der Bäume, der Geruch des feuchten Waldbodens, das Sirren und Summen der Insekten – all das war wie immer, doch es rauschte an Olga vorbei, berührte sie nicht mehr.
    Früher war das anders. Da war der Wald ein Teil von ihr gewesen, so wie

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