Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
schaukeln. Nur ganz leicht.
Wisst ihr, warum der Sarg wohl
So groß und schwer mag sein?
Ich senkt‘ auch meine Liebe
Und meinen Schmerz hinein.
Als die letzte Strophe verklungen war, lagen die vielen schönen Blumen bewegungslos auf der Wasseroberfläche.
Wir leben nicht für die Zukunft.
Wir leben, damit uns eine Vergangenheit bleibt.
Nietzsche
Epilog
Olga und Thorvald waren am Nachmittag in Kopenhagen angekommen. Nach einer ausgiebigen Dusche schliefen sie bis abends. Zwei Tage lang verließen sie das Bett nicht.
Am dritten Tag trat Thorvald wie ein bleicher verhärmter Schwindsüchtiger aus seiner Wohnung und schlich an den Häuserwänden seines Viertels im Østerbro entlang. Er wusste beim besten Willen nicht mehr, wo er sein Auto geparkt hatte. Er wollte endlich mit den Proben für den Liederabend beginnen.
Olga kehrte wieder nach Hamburg zurück. Als sie in ihrer kühlen Wohnung stand, fühlte sie sich so allein und leer wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie war keine zwei Wochen fort gewesen, doch diese Tage hatten ihr ganzes Leben aus den Angeln gehoben. Wie sollte sie nur die nächsten Stunden ohne Thorvald überleben?
Sie hatte zwei Möglichkeiten. Sich sofort zu betrinken oder mit der Arbeit anzufangen. Da sie außer Mineralwasser und Himbeersirup nichts im Hause hatte, setzte sie sich an ihren Zeichentisch. Sechs Wochen arbeitete sie am Stück durch und verließ die Wohnung nur zum Einkaufen. Irgendwann bemerkte sie, dass ihre Tage ausgeblieben waren. Konnte man mit vierzig bereits in die Wechseljahre kommen? Der Teststreifen aus der Apotheke widerlegte diese Hypothese. Erst später fiel ihr auf, dass ihr erster Gedanke nach Verfärbung des Streifens gewesen war, dass Roman sich vermutlich wie ein Schneekönig über ein Enkelkind von Thorvald freuen würde.Sie dachte vorerst nicht daran, Thorvald etwas davon zu erzählen.
Benno war nach dem Zusammenstoß mit einer Krankenschwester auf eigenes Risiko aus dem Krankenhaus entlassen worden. Konrad hatte ihn bei sich zu Hause einquartiert. Roman kam täglich, manchmal sogar zweimal täglich, und pflegte Benno wieder gesund.
Einmal besuchte ihn die Archäologin Maria Haller, weil sie von dem Unglück gehört hatte, das Benno zugestoßen war. Konrad, der Benno gerade den Verband wechseln wollte, musste plötzlich ganz dringend in sein Atelier. Er setzte sich mit hoffnungsvollem Lächeln auf die Bank und drehte sich eine dünne krümelige Zigarette. Zufrieden blies er den weißen Qualm in Richtung des sonnigen Abhangs. Einen Tag später, nach Feierabend, kam Maria Haller wieder.
Roman musste sich für die Geschehnisse von vor dreißig Jahren verantworten. Er nahm keinen Anwalt in Anspruch, gestand alles. Er sollte mit zwei Jahren auf Bewährung davonkommen. Er spielte mit dem Gedanken, das Haus und die Praxis zu verkaufen und sich irgendwo weit weg niederzulassen. Norwegen? San Francisco? Kapstadt?
Auch Luis bekam zwei Jahre, musste sich wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten, weil Juliane noch gelebt hatte, als er davongelaufen war.
Es dauerte lange, bis Hanna und Luis wieder miteinander redeten. Er konnte ihr nicht erklären, warum er sie eine Woche lang hängen gelassen hatte. Er wusste es selbst nicht. Er wusste nur, das der Albtraum, der dreißig Jahre angedauert hatte, endlich vorbei war.
Luis und Hanna gaben sich eine zweite Chance und flogen nach Vancouver. Kaum dort angekommen, wusstensie beide, dass sie dort bleiben wollten. Luis eröffnete eine Frühstückspension in Port Alberni, im Herzen von Vancouver Island, die Waldgaststätte übergab er an Toni. Hanna ließ sich als Ärztin nieder.
Robert musste sich für den Handel mit gefälschten Markenartikeln verantworten. Nach seiner Haft, so schwor er sich, würde er sich auf seine Hundezucht und die Armeefahrzeuge konzentrieren.
Dank Roberts Mithilfe wurden kurze Zeit später seine beiden Hamburger Geschäftspartner gefasst. Sie hatten ein Gemälde in einem schlichten schwarzen Rahmen bei sich, das einen Wald mit mächtigen, alten Eichen darstellte. Laut einem Gutachten des Kölner Büros des Art-Loss-Registers war der Ruisdael echt.
Konrad erhielt einen neuen Auftrag. Benno hatte ihn gebeten, einige Kopien und Fälschungen verschiedener Künstler und Epochen anzufertigen. Sie sollten die geplante Ausstellung ›Tatort Kunst‹ bereichern.
Gudrun Himmelreich hatte keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Was hätte sie auch schreiben sollen? Und an wen? Sie hatte
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