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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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zweitenmal die Kette der Nebelberge zu überschreiten, und gerade beim Einbruch der Nacht hatten wir sie überstiegen und waren genötigt, haltzumachen. Es ist dies eine Gegend, die von den Gilenosindianern am häufigsten besucht wird, und wir konnten nur mit der größten Vorsicht hier übernachten.
    Ich gestehe es, nichts gleicht mehr der Wohnung der Geister des Abgrunds als diese Berge, in deren Mitte wir die Nacht zubrachten. Jeden Augenblick wurde unser Schlaf durch sonderbares Getöse unterbrochen, das aus den Schluchten der Felsen hervorzukommen schien. Bald war es wie das unterirdische Getöse eines grollenden Vulkans oder wie die Stimme eines fernen brausenden Wasserfalls; bald war es wie das Geheul von Wölfen oder wie klagendes Seufzen, und von Zeit zu Zeit zerrissen unheimliche Blitze den ewigen Nebelschleier, der diese Berge bedeckt.
    Ein peinlicher Traum vermehrte bei mir noch die düstere Stimmung, in die mich das unerklärliche Getöse versetzte. Ich träumte, daß ich mich noch auf der Insel befände, daß das Geheul der Indianer meine Ohren zerriß, daß Büchsenschüsse noch schmerzlich wie sechs Monate früher meine schwachen Nerven erschütterten. Dieser Traum zeigte mir im Schlaf so schreckliche Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit, daß ich mehrmals erwachte, ohne die Kraft dazu zu haben, den bleiernen Schlaf, der auf mir lastete, abzuschütteln. Endlich wachte ich auf und öffnete die Augen. Alles um uns war so ruhig, wie es bei dem übernatürlichen Getöse, das von allen Seiten erscholl, nur immer sein konnte.
    Wir hatten uns aus Furcht vor einem Überfall und ohne Feuer anzuzünden auf einem Felsen gelagert, der wie ein Tisch in ein ziemlich breites Tal hineinreichte und sich ungefähr fünfzig Fuß über dieses erhob. Die beiden älteren Jäger schliefen in einiger Entfernung von mir, der jüngste allein wachte; er war an der Reihe und war wie immer gezwungen gewesen, dieses Recht in Anspruch zu nehmen, denn seinen Gefährten schien es peinlich zu sein, ihn so ihre Beschwerden teilen zu sehen.
    »Habt Ihr nichts gehört?« fragte ich meinen wachenden Gefährten.
    »Nichts Neues«, sagte er zu mir, »als das Getöse der in diesen Bergen stets unruhigen unterirdischen Vulkane.« »Sagt lieber, daß wir uns hier an einem verfluchten Ort befinden«, erwiderte ich und erzählte dem jungen Mann meinen Traum.
    »Das ist vielleicht eine Warnung«, sagte er ernst. »Ich erinnere mich, daß ich eines Nachts einen ähnlichen Traum hatte, als ...«
    Der junge Mann hielt inne. Er näherte sich dem Rand des Felsens, der das Tal beherrschte. Unwillkürlich machte ich es ebenso. Derselbe Gegenstand fiel uns zu gleicher Zeit in die Augen.
    Einer der Geister der Finsternis, die diese Gegenden bewohnen müssen, schien plötzlich eine sichtbare Gestalt angenommen zu haben. Es war eine Art von Gespenst mit dem Kopf und dem Pelz eines Wolfs, aber aufrecht auf seinen Beinen wie ein menschliches Wesen. Ich bekreuzigte mich, sagte ein Stoßgebet her, aber das Gespenst rührte sich nicht.
    »Das ist der Teufel!« murmelte ich.
    »Es ist ein Indianer« erwiderte der junge Mann; »seht dort in einiger Entfernung seine Gefährten.«
    In der Tat konnten unsere an die Dunkelheit schon gewöhnten Augen etwa zwanzig Indianer auf der Erde liegend bemerken, die uns gewiß nicht so nahe bei sich vermuteten.
    Ach, Señorita, das war eine solch gefährliche Lage, nach der der arme junge Mann, der uns begleitete, so begierig war, und Sie würden wie ich mit blutendem Herzen die traurige Freude gesehen haben, die in seinen Augen blitzte; denn je mehr wir uns den Ansiedlungen näherten, um so mehr schien seine Schwermut zuzunehmen.
    »Wir wollen unsere Freunde wecken«, sagte ich nun.
    »Nein, laßt mich allein gehen. Diese beiden Männer haben genug für mich getan; an mir ist jetzt die Reihe, mich der Gefahr auszusetzen, und wenn ich sterbe ... nun, dann werde ich vergessen ...«
    Mit diesen Worten ging der junge Mann von mir weg, machte einen Umweg, und ich verlor ihn aus den Augen, ohne daß ich jedoch aufhörte, das schreckliche, regungslose Wesen fünfzig Fuß unter mir zu beobachten ...
    Plötzlich sah ich, wie eine andere schwarze Gestalt sich auf sie warf, wie die beiden Körper zu einem einzigen wurden, aber still genug, daß man hätte glauben können, es sei ein Kampf zweier Geister. Sie verschwanden aus meinen Augen in einer Spaltung des Bodens, und ich betete zu Gott für den edlen jungen Mann, der sein Leben mit

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