Der Waldläufer
Der Wille Gottes sei gepriesen!«
»Sie sind in der Tat traurig; aber es ist, wie Ihr sagtet, von Bedeutung« – der Unbekannte schien sich, seine Worte betonend, besonders an Doña Rosarita zu wenden –, »daß ich Euch nichts verhehle. Ich habe gar vieles in der Steppe gesehen, und sie verbirgt vielleicht nicht so viele Geheimnisse, als man zu glauben geneigt sein könnte.«
Das junge Mädchen erbebte unmerklich und heftete einen klaren, tiefen Blick auf den Mann mit dem roten Taschentuch. »Sprecht, mein Freund«, sagte Rosarita mit klangvoller Stimme; »wir werden Mut haben, alles zu hören.«
»Was wißt Ihr von Don Estévan?« begann der Hacendero wieder.
»Er ist tot, Señor Kavalier.«
Don Agustin stieß einen schmerzlichen Seufzer aus und stützte seinen Kopf in seine Hände.
»Wer hat ihn getötet?« fragte er.
»Ich weiß es nicht; aber er ist tot!«
»Und Pedro Diaz, dieser Mann mit uneigennützigem Herzen?«
»Tot wie Don Estévan.«
»Und seine Freunde Cuchillo, Oroche, Baraja?«
»Tot wie Pedro Diaz! Alle tot, ausgenommen ... Aber wenn es Euch gefällig ist, Señor, so werde ich etwas weiter zurückgehen. Habe ich Euch nicht gesagt, daß Ihr alles erfahren müßtet?«
»Wir hören, mein Freund!«
»Ich will Euch keine Erzählung geben«, begann der Fremde, »von den Gefahren jeder Art, von den Kämpfen, die wir seit dem Augenblick unseres Aufbruchs zu bestehen hatten. Unter einem Chef, der uns ein grenzenloses Vertrauen einflößte, nahmen wir fröhlich unseren Anteil davon auf uns.«
»Armer Don Estévan!« murmelte der Hacendero.
»Beim letzten Nachtlager, das ich noch mit erreichte, hatte sich das Gerücht im Lager verbreitet, daß wir dicht bei einem unermeßlichen Goldlager wären. Unser Führer Cuchillo war verschwunden; seit zwei Tagen war er abwesend. Gott wollte mich ohne Zweifel retten, denn er flößte Don Estévan den Gedanken ein, mir den Befehl zu geben, in der Umgebung des Lagers Nachforschungen anzustellen.
Ich gehorchte trotz der Gefahren dieses Auftrags und machte mich daran, die Spuren unseres Führers zu suchen. Nach einiger Zeit war ich glücklich genug, sie wiederzufinden. Ich folgte ihnen, als ich plötzlich in der Ferne eine Abteilung Apachen auf der Büffeljagd entdeckte. Ich warf so rasch wie möglich mein Pferd herum; aber wildes Geheul brach auf allen Seiten aus und bewies mir, daß ich entdeckt sei.«
Der Fremde, in dem der Leser ohne Zweifel schon Gayferos, den skalpierten Gambusino, wiedererkannt hat, hielt einen Augenblick inne, als ob ihn die schrecklichen Erinnerungen überwältigten; dann erzählte er die Art und Weise, wie er von den Indianern gefangengenommen worden war; seine Angst bei dem Gedanken an die Qualen, die sie über ihn verhängen würden; den verzweifelten Kampf, den er gegen sie in einem Wettlauf mit nackten Füßen zu bestehen hatte, und die schrecklichen Leiden, die ihm dieser verursachte.
»Einer von ihnen«, sagte er, »holte mich ein; ein Schlag warf mich zu Boden, und ich fühlte, wie die scharfe Spitze eines Messers einen feurigen Kreis um mein Haupt zog. Ich hörte einen Büchsenschuß knallen. Eine Kugel pfiff an meinen Ohren vorüber, und ich verlor vollständig das Bewußtsein. Ich weiß nicht, wie viele Minuten so vorübergingen. Abermalige Büchsenschüsse ließen mich die Augen wieder aufschlagen, aber das Blut, das über mein Gesicht strömte, machte mich blind; ich fuhr mit der Hand nach meinem glühenden und zugleich eisigen Kopf – mein Schädel war nackt. Der Indianer hatte mein Kopfhaar mit der Haut des Schädels abgerissen. Das ist der Grund, Señor Kavalier, warum ich Tag und Nacht dieses Taschentuch auf dem Kopf trage.«
Kalter Schweiß bedeckte während dieser Erzählung das Gesicht des Gambusinos. Die beiden Zuhörer schauderten vor Schrecken und Entsetzen.
Nach einem Augenblick tiefen Schweigens fuhr der Erzähler fort: »Ich hätte vielleicht Euch und mir die Erzählung so trauriger Einzelheiten ersparen sollen.«
Gayferos wiederholte nun seinen Zuhörern, was wir schon wissen: nämlich die unerwartete Hilfe, die ihm die drei auf das Eiland geflüchteten Jäger leisteten. Es war bei dem Augenblick, wo ihn der Kanadier in Gegenwart der Indianer auf die Insel trug, als diese heldenmütige Tat dem Mund Don Agustins einen Ausruf der Bewunderung entriß.
»Aber es waren doch wohl ihrer zwanzig auf dieser Insel oder diesem Fluß?« unterbrach er ihn.
»Wenn ich den Riesen, der mich in seinen Armen trug,
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