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Der Wanderer

Der Wanderer

Titel: Der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khalil Gibran
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»Ach, das ist eine andere Sache. Ganz ehrlich gesagt, gelingt es mir nicht oft, sie abzuschütteln. Doch als ich in diesen Garten kam, suchte sie mich gerade hinter jener Hecke.«
    Das Kind klatschte in die Hände und rief aus: »Dann bist du also auch verloren, so wie ich! Ist es nicht fein, verloren zu sein?« Und dann sagte es: »Wer bist du?«
    Und der Mann antwortete: »Man nennt mich den Propheten Sharia. Und sag mir, wer bist du?«
    »Ich bin bloß ich«, sagte das Kind, »und meine Kinderfrau sucht nach mir, und sie weiß nicht, wo ich bin.«
    Da starrte der Prophet ins Weite und sagte: »Auch ich binmeiner Kinderfrau für eine Weile entwischt, aber sie wird mich ausfindig machen.«
    Und das Kind sagte: »Ja, meine mich auch.«
    In diesem Augenblick hörte man eine Frauenstimme den Namen des Kindes rufen. »Siehst du«, sagte das Kind, »ich hatte dir gesagt, dass sie mich finden würde.«
    Und im selben Moment hörte man eine andere Stimme: »Wo bist du, Sharia?«
    Und der Prophet sagte: »Siehst du, mein Kind, jetzt hat man auch mich gefunden.«
    Und dann wandte Sharia das Gesicht nach oben und antwortete: »Hier bin ich.«

Die Perle
    Sprach eine Auster zu einer Nachbar-Auster: »Ich habe einen sehr großen Schmerz in mir. Er ist schwer und rund, und ich leide große Pein.«
    Und die andere Auster entgegnete mit hochmütiger Selbstgefälligkeit: »Dem Himmel und dem Meer zum Dank habe ich keinen Schmerz in mir. Ich bin innen wie außen heil und gesund.«
    In diesem Augenblick kam eine Krabbe des Weges und hörte die zwei Austern, und sie sagte zu der einen, die innen wie außen heil und gesund war: »Ja, du bist heil und gesund; aber der Schmerz, den deine Nachbarin in sich trägt, ist eine Perle von außerordentlicher Schönheit.«

Leib und Seele
    Ein Mann und eine Frau saßen an einem Fenster, das hinaus auf den Frühling sah. Sie saßen nahe beieinander. Und die Frau sagte: »Ich liebe Euch. Ihr seid hübsch, und Ihr seid reich, und Ihr seid immer gut gekleidet.«
    Und der Mann sagte: »Ich liebe Euch. Ihr seid ein schöner Gedanke, etwas zu Erlesenes, als dass man es festhalten könnte, und ein Lied in meinem Träumen.«
    Da wandte sich die Frau zornig von ihm ab und sagte: »Herr, geht jetzt bitte. Ich bin kein Gedanke, und ich bin kein Ding, das durch Eure Träume zieht. Ich bin eine Frau. Ich wollte von Euch begehrt werden als Gemahlin und als die Mutter ungeborener Kinder.«
    Und sie trennten sich.
    Und der Mann sagte in seinem Herzen: »Siehe, ein weiterer Traum verwandelt sich in diesem Augenblick in Dunst.«
    Und die Frau sagte: »Was gilt mir schon ein Mann, der mich in einen Dunst und einen Traum verwandelt?«

Der König
    Die Menschen des Königreichs Sadik empörten sich gegen ihren König und scharten sich schreiend um seinen Palast. Da kam er die Treppe des Palasts herunter und trug in einer Hand seine Krone und in der anderen sein Zepter. Die Majestät seiner Erscheinung ließ die Menge verstummen. Er blieb vor den Leuten stehen und sagte: »Meine Freunde, die ihr nicht mehr meine Untertanen seid, hier übergebe ich euch Krone und Zepter. Ich möchte fortan einer von euch sein. Ich bin nur ein einzelner Mann, aber als ein Mann möchte ich zusammen mit euch daran arbeiten, unser Los zu verbessern. Ein König ist nicht notwendig. Lasst uns also zu den Äckern und in die Weinberge gehen und sie Hand in Hand bestellen. Nur müsst ihr mir sagen, zu welchem Acker oder Weinberg ich gehen soll. Jetzt seid ihr alle König.«
    Und die Menschen staunten, und sie verharrten in Schweigen, denn der König, den sie für die Ursache ihrer Unzufriedenheit erachtet hatten, übergab ihnen jetzt seine Krone und sein Zepter und wurde zu einem von ihnen.
    Dann ging jeder Einzelne von ihnen seines Weges, und der König begleitete einen Mann zu einem Acker.
    Doch dem Königreich Sadik erging es auch ohne König nicht besser, und der Dunst der Unzufriedenheit hing noch immer über dem Land. Die Menschen schrien auf den Marktplätzenund sagten, sie wollten regiert werden, und sie wollten, dass ein König über sie herrsche. Und die Alten und die Jünglinge sagten wie mit einer Stimme: »Wir wollen unseren König wiederhaben.«
    Und sie suchten den König und fanden ihn auf dem Acker bei der Feldarbeit, und sie führten ihn zu seinem Thron und gaben ihm Krone und Zepter zurück. Und sie sagten: »Jetzt herrsche über uns, mit Stärke und Gerechtigkeit.«
    Und er sagte: »Wohl werde ich mit Stärke über euch

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