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Der Wanderer

Der Wanderer

Titel: Der Wanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khalil Gibran
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älter als du.«
    Und der Dichterjüngling sagte. »Aber ich liebe Euch.«
    Nicht lange darauf starb die Prinzessin. Doch ehe ihr letzter Atemzug wieder vom größeren Atem der Erde aufgenommen wurde, sprach sie in ihrer Seele: »Mein Geliebter, mein einziger Sohn, mein jugendlicher Dichter – vielleicht, dass wir uns eines Tages wiedersehen und ich dann nicht mehr siebzig bin.«

Gott finden
    Zwei Männer wanderten das Tal entlang, und der eine Mann deutete mit dem Finger auf den Berghang und sagte: »Siehst du die Einsiedelei? Dort lebt ein Mann, der schon lang der Welt entsagt hat. Er sucht einzig nach Gott und nach nichts anderem sonst auf dieser Erde.«
    Und der zweite Mann sagte: »Er wird Gott nicht eher finden, als bis er seine Einsiedelei verlässt und das Alleinsein seiner Einsiedelei und zu unserer Welt zurückkehrt, unsere Freuden und Leiden zu teilen, mit unseren Tänzern auf dem Hochzeitsfest zu tanzen und mit denen zu weinen, die um die Särge unserer Toten weinen.«
    Und der andere Mann war in seinem Herzen überzeugt, doch trotz seiner Überzeugung erwiderte er: »Ich bin in allem deiner Meinung, und dennoch glaube ich, dass der Einsiedler ein guter Mensch ist. Und könnte es nicht sein, dass ein guter Mensch durch seine Abwesenheit Besseres leistet als die scheinbare Güte dieser vielen Menschen?«

Der Fluss
    Im Tal von Kadisha, wo der mächtige Fluss strömt, trafen sich zwei kleine Bäche und sprachen miteinander.
    Ein Bach sagte: »Wie kamst du hierher, mein Freund, und wie war deine Reise?«
    Und der andere sprach: »Äußerst beschwerlich war meine Reise. Das Mühlrad war zerbrochen, und der Landmann, der mich von meinem Bett zu seinem Feld zu führen pflegte, ist gestorben. Mühsam kroch ich hinab, stinkend vom Schmutz der Untätigen, die nur daliegen und ihre Faulheit sonnen. Doch wie war deine Reise, Bruder?«
    Und der andere Bach antwortete und sagte: »Meine Reise war ganz andrer Art. Ich kam die Hügel herab zwischen duftenden Blumen und scheuen Weidenbäumen; Menschen tranken von mir aus silbernen Bechern, und kleine Kinder planschten mit ihren rosigen Füßchen an meinen Ufern, und es war Lachen ringsum und muntere Lieder. Wie schade, dass deine Reise weniger schön war!«
    Da sprach der Fluss mit lauter Stimme und sagte: »Kommt her zu mir, kommt herein, wir ziehen zum Meer. Kommt her zu mir, kommt herein, sagt nichts mehr. Seid jetzt bei mir. Wir ziehen zum Meer. Kommt herein, kommt herein, denn in mir werdet ihr eure Wanderung vergessen, gleich, ob froh oder traurig. Kommt herein, kommt herein. Und ihr und ichwerden all unsre Wege vergessen, sobald wir das Herz unsrer Mutter erreichen, der See.«

Die zwei Jäger
    An einem Tag im Mai trafen sich Freude und Leid bei einem See. Sie grüßten einander und setzten sich ans stille Wasser, und sie redeten.
    Die Freude sprach von der Schönheit, die auf der Erde ist, und vom täglichen Wunder des Lebens im Walde und in den Hügeln und von den Liedern, die sich vor Sonnenaufgang und zur Abendzeit vernehmen lassen.
    Und das Leid sprach und pflichtete der Freude in allem bei, was sie gesagt hatte; denn das Leid wusste um den Zauber der Stunde und um deren Schönheit. Und das Leid sprach beredt vom Mai auf den Feldern und auf den Hügeln.
    Und Freude und Leid sprachen lange miteinander, und sie waren in allem einer Meinung.
    Jetzt kamen auf der anderen Seite des Sees zwei Jäger des Weges. Und wie sie über das Wasser hinwegsahen, sagte einer von ihnen: »Wer die beiden da drüben wohl sind?« Und der andere sagte: »Sagtest du ›die beiden‹? Ich sehe nur einen.«
    Der erste Jäger sagte: »Aber da sind zwei.« Und der zweite sagte: »Ich kann nur einen sehen, und auch im See ist nur ein Spiegelbild.«
    »Nein, es sind zwei«, sagte der erste Jäger, »und im stillen Wasser spiegeln sich ebenfalls zwei Gestalten.«
    Doch der zweite Mann sagte wieder: »Ich sehe nur eine.« Und der andere sagte: »Aber ich sehe ganz deutlich zwei.«
    Und noch heute sagt der eine Jäger, der andre würde doppelt sehen, während der andre sagt: »Mein Freund ist etwas blind.«

Der andere Wanderer
    Einmal begegnete ich einem anderen Mann der Landstraße. Auch er war ein bisschen verrückt, und so sprach er zu mir: »Ich bin ein Wanderer. Oftmals sieht es so aus, als wandelte ich unter Pygmäen. Und weil mein Kopf siebzig Ellen weiter vom Boden entfernt ist als der ihre, erzeugt er höhere und freiere Gedanken.
    Doch in Wahrheit wandle ich

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