Der Wanderer
herrschen, und mögen die Götter des Himmels und der Erde mir beistehen, dass ich auch mit Gerechtigkeit herrsche.«
Nun traten Männer und Frauen vor ihn hin und sprachen zu ihm von einem Baron, der sie übel behandele und dem sie nichts Besseres als Leibeigene seien. Und auf der Stelle befahl der König den Baron zu sich und sagte: »Des einen Menschen Leben hat auf der Waage Gottes ebenso viel Gewicht wie das Leben eines anderen. Und weil du das Leben derer, die deine Äcker und deine Weinberge bestellen, nicht zu wägen weißt, bist du verbannt und sollst du dieses Königreich für immer verlassen.«
Am folgenden Tage kam eine weitere Gruppe zum König und sprach von der Grausamkeit einer Gräfin jenseits der Berge und davon, dass sie sie ins Elend gebracht habe. Augenblicklich wurde die Gräfin an den Hof bestellt, und der König verurteilte sie ebenfalls zur Verbannung und sagte: »Die unsere Felder bestellen und unsere Weinberge besorgen, sind edler als wir, die das Brot essen, das sie zubereiten, und den Wein aus ihren Keltern trinken. Und weil du dasnicht weißt, sollst du dieses Land verlassen und diesem Königreich fernbleiben.«
Dann kamen Männer und Frauen, die sagten, dass der Bischof ihnen befohlen habe, Steine herbeizuschaffen und die Steine zuzuhauen für die Kathedrale, sie aber nicht entlohne, obgleich sie wussten, dass des Bischofs Truhe voll von Gold und Silber war, während ihr Magen leer war und sie hungerten.
Der König rief den Bischof zu sich, und als der Bischof kam, sprach der König zu ihm und sagte: »Jenes Kreuz, das du an deinem Busen trägst, sollte bedeuten, dass dem Leben Leben gespendet wird. Doch du hast dem Leben Leben genommen und nichts zurückgegeben. Deswegen wirst du dieses Königreich verlassen und niemals wiederkehren.«
So kamen Tag für Tag, einen vollen Mond lang, Männer und Frauen zum König, um ihm von den Bürden zu berichten, die ihnen auferlegt worden waren. Und jeden Tag, einen vollen Mond lang, wurde ein Unterdrücker aus dem Land verbannt.
Und die Menschen von Sadik staunten, und es war Freude in ihren Herzen.
Eines Tages kamen die Alten und die Jünglinge und scharten sich um den Turm des Königs und riefen nach ihm. Und er kam herab und hielt in einer Hand seine Krone und in der anderen sein Zepter.
Und er sprach zu ihnen und sagte: »Nun, was wollt ihr von mir? Seht, ich gebe euch zurück, was ich nach eurem Wunsch besitzen sollte.«
Doch sie riefen: »Nein, nein, du bist unser rechtmäßiger König. Du hast das Land von Vipern gereinigt, und du hast die Wölfe vertrieben, und wir kommen, um dir unseren Dank zu singen. Die Krone ist dein in Majestät, und das Zepter ist dein in Herrlichkeit.«
Da sagte der König: »Nicht ich, nicht ich. Ihr selbst seid König. Als ihr mich für einen schwachen, schlechten Herrscher hieltet, wart ihr selbst schwache, schlechte Herrscher. Und jetzt gedeiht das Land, weil ihr es so wollt. Ich bin bloß ein Gedanke in euer aller Sinn, und ich existiere nicht, außer in eurem Handeln. Es gibt keinen Regierenden. Nur die Regierten gibt es, die sich selbst regieren.«
Und der König trat mit seiner Krone und seinem Zepter wieder in seinen Turm. Und die Alten und die Jünglinge zogen ihres Weges und waren zufrieden.
Und jeder Einzelne von ihnen dünkte sich selbst ein König mit einer Krone in der einen Hand und einem Zepter in der anderen.
In den Sand
Sprach ein Mann zu einem andern: »Bei Hochwasser schrieb ich vor langer Zeit mit der Spitze meines Stabes eine Zeile in den Sand. Und die Menschen bleiben noch heute stehen, um sie zu lesen, und achten darauf, dass nichts sie austilgt.«
Und der andere sagte: »Auch ich schrieb eine Zeile in den Sand, doch es war bei Niedrigwasser, und die Wellen der See spülten sie hinweg. Aber sage mir, was schriebst du?«
Und der erste Mann antwortete und sagte: »Ich schrieb: ›Ich bin der, der ist.‹ Und was schriebst du?«
Und der andere Mann sagte: »Ich schrieb: ›Ich bin bloß ein Tropfen dieses großen Ozeans.‹«
Die drei Geschenke
Einst lebte in der Stadt Bischarri 1 ein gnädiger Fürst, der von allen seinen Untertanen geliebt und geehrt wurde.
Allein es gab einen äußerst armen Mann, der einen Groll gegen den Fürsten hegte und ihn fortwährend schmähte und verwünschte.
Der Fürst wusste darum, doch er war geduldig.
Endlich aber ging er mit sich zu Rate.
So kam eines Winterabends ein Diener des Fürsten zur Tür des Mannes mit einem Sack Mehl, einem
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