Der Weg der Helden
legte sie auf die Bahre.
Als die Sonne aufging, sammelte Rael seine letzten Soldaten um sich. Zusammen kehrten alle, bis auf Caprishan, in die Waffenkammer zurück und legten die silbernen Rüstungen aus der Zeit der Kristallkriege an.
Für Ro war es eine andere Art von Schmerz. Es lag kein Begehren darin, keine Sehnsucht, anderen das Leben aufzusaugen. Für ihn war es die Pein der Verzweiflung, der Entsagung und des Verlustes, der sich zu den Schmerzen in seinen Gliedmaßen gesellte, die sich anfühlten, als würden seine Muskeln sich langsam selbst auseinanderreißen.
Er saß mit gekreuzten Beinen auf dem Teppich und hielt Sofaritas Hände fest. Seine Finger waren mittlerweile taub, seine Gedanken trostlos. Tränen liefen ihm aus den Augen, und er hätte den Tod wie einen alten Freund willkommen geheißen. Sie spürte seine wachsende Verzweiflung und erlaubte dem Schmerz, wieder in sie zurückzufließen. Ro seufzte, als er von dieser Qual befreit wurde.
Und so ertrugen sie die Reise, gestützt von den Ritualen des Avatar Primu, teilten den Schmerz, den jeder möglichst lange bei sich hielt, bevor er dem anderen erlaubte, die Bürde zu schultern.
Am Abend des dritten Tages näherte sich die Schlange der Landmasse des westlichen Kontinents, und Sofarita spürte, wie die Macht zu ihr zurückkehrte. Sie kam wie der Atemhauch einer süßen Brise, als die schwache Energie von Kristallen über sie hinwegfloss. Sie saugte sie tief in sich ein. Sie schmeckten nach Leben.
Dann holte sie tief Luft und ließ Ros Hände los. Er öffnete die Augen, lächelte sie an und sank dann erschöpft zu Boden. Sofarita streckte die Hand aus, streichelte zärtlich seine Wange, stand auf und streckte sich. Dann trat sie aus der Kabine ins Mitteldeck, wo sie das letzte Sonnenlicht genoss und zusah, wie die Möwen über dem Schiff kreisten.
Talaban sah sie dort und stellte sich neben sie. » Wie geht es dir, Mistress?«, erkundigte er sich bei ihr.
» Ro hat mich gerettet«, sagte sie.
» Ich weiß. Ich bin oft in seine Kabine gekommen und habe gesehen, wie ihr beide dort gesessen habt. Er ist ein guter Mann.«
» Der beste«, erwiderte sie.
Ohne ein weiteres Wort ging sie ein Stück zur Seite und setzte sich auf eine Taurolle an der Backbordreling. Sie ließ ihren Geist frei, ließ ihn hoch über die ferne Bucht steigen, über das dunkle Land, seine Wälder und Ebenen, und schickte ihn auf die Suche nach Einäugiger-Fuchs. Das Lager, dass sie beim ersten Mal gesehen hatte, lag in Trümmern. Rußgeschwärzte Zeltstangen erhoben sich in der Dunkelheit, und auf dem Boden lagen etliche Leichen. Aber es hatte kein Massaker gegeben. Der größte Teil der Anajo war dem Angriff entkommen. Sie durchsuchte die Gegend und fand ein Massengrab in der Nähe der Baumgrenze. Sie erlaubte ihrem Geist, unter die Erde zu sinken, und stellte fest, dass in diesem Grab vierzig tote Almec-Soldaten lagen.
Also hatten die Anajo nicht nur überlebt, sondern dem Feind sogar schwere Verluste zugefügt.
Sofarita stieg hoch wie ein Adler auf der Jagd und flog in einem großen Kreis über das Land, auf der Suche nach einer Bewegung. Sie sah eine Kolonne von Almecs, etwa fünfhundert Krieger, die sich nach Osten bewegten. Als sie auf sie zuflog, sah sie eine zweite kleinere Streitmacht, die etwa zwei Meilen vor der ersten zwischen den Bäumen im Laufschritt dahineilte. Sofarita flog über sie und sah, dass es Anajo waren, siebzehn Männer und drei Frauen. Sie hatten ihre Gesichter rot und blau angemalt, trugen kurze Jagdbögen und Köcher. In ihren Gürteln steckten Kriegsbeile aus Feuerstein.
Als sie näher kam, blieb der erste der zwanzig Läufer kurz stehen und blickte hoch. Es war ein Mann von mittleren Jahren, mit dunkel gebräunter Haut und tief liegenden braunen Augen. Er hob seine Hand, die Handfläche zu ihr ausgestreckt, und lächelte. Dann kniete er sich hin, kreuzte die Arme über der Brust, und sein Geist erhob sich aus seinem Körper.
» Gut, dich zu sehen, meine Schwester«, sagte er.
» Deine Feinde sind dicht hinter dir«, sagte sie.
» Sie werden uns nicht einholen, es sei denn, wir wollen es. Ist Berühr-den-Mond bei dir?«
» Ja. Ebenso wie Talaban.«
» Aiya!« Sein Ausruf klang triumphierend. » Das ist gut. Ich habe meine Wolfssoldaten bei mir. Legt in der Bucht an und geht dann in südwestlicher Richtung, zum höchsten Berg. Wir werden euch dort erwarten. Wir schlagen die letzte Schlacht, richtig?«
» Das ist nicht mehr nötig«,
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