Der Weg der Helden
das Eis. Er konnte nur ein Blauhaar erkennen, eine kleine Gestalt mit einem gegabelten blauen Bart. Die anderen waren gewöhnliche Männer. Karesh Var war nervös. Die Legenden kündeten von den mächtigen Waffen der Blauhaare, von Bögen, die Lichtblitze in den Feind schleuderten, damit riesige, rußgeschwärzte Löcher in die Brustkörbe der Krieger rissen und sogar Brustpanzer aus Bronze zertrümmerten. Man sprach von schwarzen Schwertern, auf denen Blitze schimmerten, Klingen, die Metall durchschnitten wie Draht durch Käse. Karesh Var hatte nicht das geringste Verlangen, einen Feind anzugreifen, der derart bewaffnet war. Trotzdem, und das war das Dilemma, waren seine jungen Männer Kämpfer. Sie liebten es zu kämpfen. Sie waren, das war ihm schon lange klar, Männer mit wenig Vorstellungsvermögen.
» Wir würden für dich in die Hölle reiten, Karesh«, hatte der junge Jiang ihm einmal gesagt. Er hatte gelächelt und dem Jungen auf die Schulter geklopft. Junge Männer waren für solche sinnlosen Gesten geschaffen, denn sie glaubten an die Unsterblichkeit. Genau wie er es einst gewesen war, waren sie überzeugt, dass die Macht, die durch ihre Adern strömte, für immer hindurchfließen würde. Sie sonnten sich in ihrer Stärke und verspotteten sogar die älteren Männer, die nicht mehr so lange reiten oder so gut jagen konnten wie sie selbst. Als wenn diese Männer es sich ausgesucht hätten, so zu werden, oder dem Alter und den Krankheiten irgendwie erlaubt hätten, sie zu überwältigen.
Die jungen Reiter, die Karesh Var folgten, wollten die Blauhaare angreifen, wollten sie niedermachen und auf diese Weise Ruhm in ihrer Siedlung ernten. Auch Karesh Var hätte sie gern vernichtet, denn hatten sie nicht die Welt in so große Schwierigkeiten gestürzt? Hatten sie nicht Eis und Feuer über sie gebracht? Dennoch hatte er nicht den Wunsch, seine Männer in eine Schlacht zu führen, die vielleicht damit endete, dass seine Reiter abgeschlachtet wurden.
Mit solch finsteren Gedanken beobachtete er, wie zwei Männer auf die Reiter zukamen. Keiner von ihnen war ein Blauhaar. Karesh Var zügelte sein Pony und erwartete sie. Der eine war sehr groß und hatte sein langes, dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Er trug keine Rüstung, aber ein Kurzschwert am Gürtel und in der linken Hand einen reich geschmückten goldenen Bogen. Karesh Var kniff die Augen zusammen. Der Mann hatte keinen Köcher mit Pfeilen bei sich. Dann richtete der Jäger den Blick auf den zweiten Krieger. Er war untersetzt und stämmig und hielt ein kleines, einschneidiges Beil in der rechten Hand.
Hinter den beiden Männern stand das Blauhaar immer noch auf dem Eis. Er hielt einen kleinen Kasten in den Händen, aus dem helle, glänzende Drähte herabbaumelten. Karesh Var kam es vor, als hätte man hell leuchtende Laternen auf dem Gletscher aufgebaut, und er konnte ein schwaches Summen wie von einem Bienenschwarm hören.
Der Größere der beiden blieb etwa zwanzig Schritte vor den Reitern stehen. Der zweite Mann setzte sich auf einen Felsbrocken und machte sich daran, die Schneide seines Beils mit einem Wetzstein zu schärfen.
Der Größere zog sein Schwert und senkte die Spitze auf den gefrorenen Staub der Ebene. Dann kreuzte er den Weg der Reiter und zog dabei eine schmale Furche in die Erde. Danach steckte er sein Schwert wieder in die Scheide und nahm den geschmückten goldenen Bogen auf.
Karesh Var war ein respektvoller Mann. Er hatte seine Jägerkameraden niemals beneidet, nicht einmal damals, als er noch jung gewesen war und seine Fähigkeiten nicht an ihre hatten heranreichen können. Stattdessen hatte er sie beobachtet und von ihnen gelernt. Und jetzt würdigte er die Talente des Mannes, der da vor ihm stand. Er hatte zwanzig Reiter gegen sich, hatte keine offene Drohung von sich gegeben und dennoch mit einer einzigen, einfachen Handlung seine Absichten kundgetan. Er hatte eine Linie gezogen und damit eine Grenze geschaffen. Die Botschaft war eindeutig. Jeder, der diese Linie überschritt, würde sich seiner grimmigen Vergeltung aussetzen. Karesh Var war ein stolzer Mann, aber nicht besonders arrogant. Er musste niemandem etwas beweisen. Einige seiner leichtsinnigeren Gefährten hätten den Mann sofort angegriffen, und er spürte die wachsende Wut bei den Reitern um sich herum. Karesh Var saß schweigend auf seinem Pony und musterte die beiden Männer. Sie schienen vollkommen entspannt zu sein, nicht im Geringsten nervös.
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