Der Weg der Helden
Dafür gab es mehrere mögliche Gründe. Zunächst einmal konnten irgendwo in der Nähe weitere Krieger versteckt sein, die hervorkommen und angreifen würden, falls die Nomaden vorrückten. Karesh Var musterte die Ebene. Falls diese Männer keine Löcher in die Tundra gegraben und sich dort versteckt hatten, war keine solche Streitmacht zu erwarten. Zweitens konnten die Männer möglicherweise dumm sein oder nicht wissen, dass die Nomaden die Blauhaare hassten. Aber sie sahen nicht dumm aus, und außerdem war diese Furche in der Erde ein ausgesprochen kluger Schachzug. Blieb also nur eine Schlussfolgerung übrig. Sie waren so entspannt, weil sie keine Furcht empfanden. Sie wussten, dass ihre Waffen die Reiter vernichten konnten. Karesh Var lächelte, als ihm eine letzte Alternative einfiel. Vielleicht wollten sie ja auch, dass die Nomaden sie für allmächtig hielten. Vielleicht war das alles nur ein Bluff.
Karesh Var stieg ab und ging zu der Furche in der Erde. Dann blickte er zu dem großen Mann hinüber und öffnete seine Hände. Die Miene des Hünen veränderte sich nicht, aber er winkte Karesh Var vor. Der untersetzte Krieger verließ seinen Felsbrocken und stellte sich mit dem Kriegsbeil in der Hand neben ihn.
» Warum seid ihr hierher gekommen?«, wollte Karesh Var wissen.
» Weil es uns beliebte«, antwortete der große Mann. Er hatte eine tiefe Stimme. Karesh Var erwiderte den dunklen Blick des Mannes und bemerkte, dass er ihm standhielt. Dann betrachtete er das Gesicht seines Gegenübers. Es war ein ausdrucksvolles Gesicht, und der Blick war geradeheraus und furchtlos. Dieser Mann war ein Kämpfer. Karesh Var sah das in jeder Linie, jedem Zug.
» Du bist auf meinem Land«, sagte Karesh Var. Er sprach gelassen und versuchte immer noch, in dem Gesicht seines Gegenübers zu lesen.
Der Mann lächelte. » Nomaden besitzen kein Land. Sie gehen, wohin sie wollen, und lassen sich nieder, wo es ihnen beliebt. So ist es immer gewesen. Ihr nehmt eure Zelte und folgt den Mammuts. Ihr besitzt nur, was ihr mithilfe eurer Waffen erbeutet. Würde ich dich töten, besäße ich dein Zelt, deine Frauen und deine Ponys.«
Karesh Var war beeindruckt. Nicht nur von dem Wissen des Mannes, sondern auch von seiner Gelassenheit. Er hatte immer noch keine Drohung ausgesprochen. Und der Bogen, den er in der Hand hielt, war nicht gespannt.
Er beschloss, ihn aus der Reserve zu locken. » Welchen Zweck erfüllt diese Linie in der Erde?«, erkundigte er sich.
» Der Tod ist von Dauer«, antwortete der Krieger. » Überflüssige Gewalt ist mir ein Gräuel. Gestern habt ihr Beute gemacht, und das Fleisch wird dein Volk ernähren. Gestern habt ihr einen Sieg über Hunger und Tod errungen. Es wäre klug, zu euren Zelten zurückzukehren und das Gestern zu feiern. Denn unter den Möglichkeiten, die dir das Heute bietet, findet sich kein Grund zum Feiern.«
» Glaubst du das? Vielleicht sehe ich das anders.«
Der Mann schüttelte den Kopf. » Nein, denn du bist ein kluger Mann. Ein Narr hätte seine Männer längst zum Angriff geführt. Sie wären alle ausnahmslos gestorben.« Er sprach so laut, dass die Reiter ihn hören konnten.
» Du glaubst, du kannst mich und alle meine Männer töten?« Jetzt war es ausgesprochen, und Karesh Var spürte, wie seine Anspannung stieg. Er hielt die Hand dicht an seinem Jagdmesser und war bereit zum Kampf.
» Selbstverständlich«, antwortete der Mann. Er berührte mit dem Daumen ein Juwel am Griff seines Bogens. Sofort flammten vier Saiten aus tanzendem Licht auf. Karesh Var war beeindruckt. Er hatte von dieser schrecklichen Waffe der Blauhaare gehört, diesen Bögen, die Blitze spuckten.
» Eine interessante Waffe«, bemerkte Karesh Var, dessen Hand jetzt auf dem Knochengriff seines Messers ruhte.
» Es wird Zeit für eine Entscheidung, Nomade«, erwiderte der Mann. » Denn mir wird kalt.« Seine Stimme wurde härter.
» Da hast du allerdings Recht, Fremder«, erwiderte Karesh Var, senkte seine Stimme und trat einen Schritt näher an den Krieger heran. » Jedoch scheinst du mir ein Mann von einer gewissen Klugheit zu sein, also beantworte mir folgende Frage: Wenn ein Anführer von Kriegern mit seinen Männern in einen Kampf reitet und dann zurückkehrt, ohne etwas vorweisen zu können, wie soll er dann Anführer bleiben? Es könnte für einen solchen Mann besser sein, den Tod zu riskieren, um sein Gesicht zu wahren. Ist das nicht so?«
» Das ist eine traurige Wahrheit«, räumte der Hüne
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