Der Weg in die Dunkelheit 2: Die Wächterin
Schule gehen.
Constance hasste mich. Das hatte sie am Tag von Veritys Beerdigung deutlich gemacht, und wer hätte es ihr verdenken können? Verity und ich waren zusammen Eis essen gegangen. Ich hatte überlebt. Verity nicht. Was Constance nicht wusste – und was ich ihr nicht sagen konnte –, war, dass es sich bei dem Mord an ihrer Schwester nicht um ein ungeplantes Gewaltverbrechen gehandelt hatte. Es war ein gezieltes Attentat gewesen. Vielleicht wäre alles zwischen uns anders gewesen, wenn Constance das gewusst hätte. Vielleicht hätte sie zugelassen, dass ich mich um sie kümmerte. Aber ich bezweifelte es irgendwie, besonders, als ihr Ellbogen mich mitten im Gesicht traf und ich mit einem Aufschrei zurückstolperte.
» Was zur Hölle soll das, Constance? Schluss damit!« Mir lief Blut aus der Nase, und ich presste die Hand davor und versuchte, den Strom aufzuhalten. Das Kribbeln breitete sich von meinen Händen in meine Arme und dann in meine Brust aus, unangenehm, aber nicht schmerzhaft. Ich sah mich um und verdrängte die Angst und das Gefühl, dass ich völlig überfordert war. Wieder einmal.
» Wie lange schon?«, fragte ich.
Constance schlug mit dem Kopf gegen die Kacheln und zerkratzte sich weiter die Arme, während ihre Schreie in ein qualvolles Stöhnen übergingen.
Ich packte sie an den Handgelenken und zerrte sie von der Wand weg. Blut tropfte mir auf die Bluse. » Wann hat das hier angefangen?«
» Dieses Wochenende«, keuchte sie, und die Adern an ihrem Hals traten hervor. » Es tut so furchtbar weh. Was stimmt nicht mit mir?«
» Ich weiß es nicht, Süße. Halt durch.« Die Narbe an meiner Hand, glänzend und rosig gescheckt, pulsierte schmerzhaft, und Constance begann zu wimmern. Um uns herum war die Luft aufgewühlt und verformte sich, und der durchdringende Geruch von Ozon brannte mir in der Nase. Vor meinen Augen begann Constances dunkelgoldenes Haar zu schweben und zu Knoten zu verfilzen.
» Mo?«
» Ich bin bei dir. Es wird alles gut.«
Ich log. Es war das Letzte, was ich sagte, bevor die kleine Schwester meiner besten Freundin im Mädchenwaschraum im zweiten Stock zur Supernova wurde und mich mitriss.
Kapitel 2
Ich weiß nicht, wie lange wir bewusstlos waren. Vermutlich nicht lange, denn als ich gerade wieder aufwachte, kam Lena herein und wirkte eher leicht besorgt als völlig panisch. » Ist alles in Ord… heilige Scheiße.«
Constance lag in der Nähe der Waschbecken, bleich wie Mondlicht, wenn man von den scharlachroten Rinnsalen absah, die ihr aus der Nase tropften. Ich kniete mich neben sie und hielt meine Hand ein paar Zentimeter über ihren geöffneten Mund. » Sie atmet.«
Lena sah mich an und wollte ihren Augen nicht trauen. » Du blutest ja! Was ist passiert?«
Ich hob Constances Kopf von den schwarz-weißen Fliesen auf meinen Schoß. » Es war ein Unfall.«
» Ihre Faust ist ganz zufällig in deinem Gesicht gelandet?« Lena riss eine Handvoll Papiertücher aus dem Spender und ließ kaltes Wasser darüberlaufen. » Nimm die hier.«
» Danke. Sie hat es nicht mit Absicht getan. Sie ist … krank.« Konnte Magie jemanden krank machen? In dem Augenblick, bevor wir das Bewusstsein verloren hatten, hatte ich sie gespürt: umwerfend kraftvolle rohe Magie, die uns beide durchströmt hatte. Jetzt war sie verschwunden, aber dass sie überhaupt in den Waschräumen aufgetreten war, bestätigte mehr oder minder, dass Constance ein Bogen war.
So viel also zum Thema » Zurück ins normale Leben«.
» Sieh mal, Mo, ich weiß, dass du dir Sorgen um sie machst, aber vielleicht ist es an der Zeit, mal ein ernstes Wort mit ihr zu reden, verstehst du? Mit dem Mädchen stimmt etwas nicht.« Sie reichte mir erneut eine Handvoll feuchter Papiertücher.
Ich strich Constance das Haar aus dem Gesicht und tupfte ihr das Blut ab. Ein Hauch von einer Brise huschte durch den Raum und verschwand. » Sie wacht nicht auf. Sollte sie nicht wieder zu sich kommen?«
» Woher zum Teufel soll ich das wissen? Wir sollten die Schulkrankenschwester holen.«
» Die Krankenschwester kann nichts tun.« Wir brauchten Luc. Ich hatte ihm meine Hilfe zugesichert, falls er sie benötigen sollte, aber ich war nicht unbedingt erpicht darauf, ihn seinerseits um Hilfe zu bitten. Es empfahl sich nie, Lucien DeFoudre etwas zu schulden. Ich berührte mein Handgelenk und versuchte die schwache, andersweltliche Kette zu spüren, die uns miteinander verband. Das letzte Mal hatte ich sie vor einem Monat auf dem
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