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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hin. Es war unser Land, das sie genommen hatten! Sie schössen auf uns, als wir kamen. Unsere Krieger schössen zurück und haben die sechs Männer getötet. Durch die Schüsse wurden andere weiße Männer herbeigelockt, die uns bedrohten. Durch Feuer haben wir diese Männer vertrieben und die Farm vernichtet. Als unsere Männer weiterzogen, sahen sie ein kleines Mädchen, das sich verstecken wollte. Sie ließen es laufen.«
    Smith und Cate hörten erregt und innerlich schauernd zu. »Du sagtest wir«, sagte Smith. »Du warst also dabei.«
    »Nein.«
    »Wie dem auch sei. Sechs Männer, sagst du, fünf große und ein kleiner. Der kleine Mann ist meine Mutter gewesen. In Zeiten der Gefahr ritt sie in Hosen; sie schoß gut. Was wurde aus den Leichen?«
    »Das wissen wir nicht. Das Feuer war groß.«
    Smith starrte die Indianer an, die langen schattenhaften Gestalten, die im Laternenschein vor ihm standen. Cate schmiegte sich an den Vater. Als das Schweigen lange dauerte, fragte Ellis: »Wünschen Sie noch etwas zu wissen?«
    »Danke. Nein. Das genügt mir.«
    Die Indianer wurden fortgeschickt. Sie entfernten sich langsam, und der Manager kreischte hinter ihnen her wie ein Treiber.
    Smith wollte sich schon mit einer scharfen Wendung umdrehen, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoß, der seinen Fuß mitten in der Bewegung anhielt. Er setzte die Fußspitze noch einmal auf den Boden und fragte den Inspizienten halb zögernd, halb entschlossen: »Dieser, dieser … Sohn Sitting Bulls, den Sie auf ihren Plakaten ankundigen, befindet sich nicht bei der Gruppe, mit der wir soeben gesprochen haben?«
    »Nein. Aber bitte, wenn Sie wünschen …« Frank Ellis wartete nicht erst ab, ob der Herr wünschte, sondern schickte den einen seiner Begleiter auf die Suche. »Der Harry … sofort hierher!«
    Es dauerte nicht lange, bis der Mann den Jungen gefunden hatte und mit ihm zu der wartenden kleinen Gruppe herbeikam. Es war schwer, sich in dem Halbdunkel des Zirkusgeländes gegenseitig zu erkennen. Der Wind blies und machte den Aufenthalt im Freien ungemütlich.
    »Das ist also angeblich der Sohn Sitting Bulls?« fragte Smith, mit sich selbst unzufrieden. Er hätte diesen Aufenthalt hier nicht verursachen sollen. Vielleicht erkältete sich Cate, und was sollte ein junger Mensch aus den Stämmen der West-Dakota von dem wissen, was Samuel Smith beschäftigte? Aber wenn der Indianer wirklich aus einem der großen Häuptlingsgeschlechter stammte ­ so beruhigte Smith sich wieder ­, konnte er vielleicht doch über etwas Auskunft geben, was für einen Offizier der Armee von Bedeutung war. Die militärischen Auseinandersetzungen mit den Weststämmen standen noch bevor, davon war Smith überzeugt.
    »Harry, der Sohn Sitting Bulls!« hatte Ellis unterdessen eifrig vorgestellt.
    Der Indianer, den Smith nach seiner Erscheinung für vierzehn bis fünfzehn Jahre alt hielt, wartete schweigend. Cate schaute den Schattenriß aufmerksam und beinahe ängstlich an. Ihre bedrückenden Erinnerungen waren zu wach geworden.
    Smith begann zu fragen: »Zu welchem Stamm gehörst du?«
    »Sioux.«
    »Ach, du verstehst englisch. Zu welchen Sioux?«
    »Dakota.«
    »Zu welchen Dakota? Ost oder West?«
    »West.«
    »Zu welchem Stamm der West-Dakota?«
    »Teton.«
    »Und unter diesen?«
    »Oglala.«
    »Wo stehen eure Zelte?«
    »Nahe der Platte.«
    »Deine Angaben sind auf etwa tausend Kilometer genau!« bemerkte Smith ironisch.
    »So ist es«, erwiderte der junge Indianer, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.
    »In diesem weiten Gebiet weilt auch dein Vater Sitting Bull?«
    »Sitting Bull vielleicht, mein Vater sicher nicht.«
    »Was soll das heißen? Sitting Bull da, dein Vater dort? Ich denke, Sitting Bull ist dein Vater?«
    »Nein.«
    Ellis machte eine Bewegung, als ob ihn der Schlag treffe. Dann versuchte er die Situation noch zu retten: »Der Junge kennt die englische Form des Namens seines Vaters nicht, sondern nur die indianische!«
    »Also versuchen wir es mit der indianischen Namensform«, meinte Smith, spöttisch-amüsiert. »Du bist der Sohn Tatanka-yotankas?«
    »Nein.«
    »Wer ist dein Vater?«
    »Der indianische Artist, von den weißen Männern genannt Top, mit dem ich hier zusammen engagiert bin.«
    Frank Ellis ging die Luft aus, und er wurde für einen Moment klein wie eine Ziehharmonika, die zusammengedrückt wird. Smith beendete das Gespräch, das ihm endgültig und völlig unnütz erschien. »Auf einen Schwindel mehr oder weniger kommt es

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