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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Harka und ließ durch den Manager anfragen, ob der Junge nicht Lust habe, an diesen Reiterspielen teilzunehmen.
    »Ich werde meinen Vater fragen«, erwiderte Harka so, wie Langspeer es von ihm erwartet hatte.
    Der Clown schaute mit seinen Augen, die viel kindlicher waren als die des Knaben, wieder traurig auf den jungen Indianer. »Willst du nicht in meiner neuen Nummer mitmachen?«
    »Auch das werden wir sehen.«
    »Kannst du lesen und schreiben?«
    »Eure Schrift nicht. Nur unsere Bildzeichen.«
    »Ich könnte dich noch viel lehren, Junge. Hast du schon einen Atlas gesehen?«
    »Nein.«
    »Komm mit in meinen Wagen. Hier bei den Proben ist jetzt doch nichts mehr los. Wir müssen heute statt zwei sogar drei Vorstellungen geben, um wieder Geld hereinzubringen. Im Wagen zeige ich dir die Karte von Amerika.«
    Harka und Langspeer gingen mit dem freundlichen und nachdenklichen Mann. Er führte die beiden in seine Stube im Zirkuswagen, die praktisch eingerichtet und sehr ordentlich gehalten war. Auf einem Wandbrett lagen einige Bücher, eines davon war ein Atlas.
    »Ich heiße Bob«, erklärte der Clown. »Damit du weißt, wie du mich anreden kannst! Und wie heißt du?«
    »Harka.« »Harry?«
    »Harka!«
    »Bleiben wir lieber bei Harry, das ist mir geläufiger. Nun sieh hier die Karte!« Er schlug den Atlas auf und begann zu erklären. Da es sich um eine bildliche Darstellung handelte, begriff Harka außerordentlich schnell. Er fragte nach den Black Hills, fand die Berge, in denen sein Adlerfreund hauste, und zeigte schon selbst den Niobrara, der von den Dakota Miniatanka-wakpala genannt wurde. Er erkundigte sich nach der Route, die der Zirkus plante, und suchte nach den Gebieten der Schwarzfußindianer. Langspeer interessierte sich für die Lage der Reservation, aus der er entlassen worden war.
    Als Harka mit Langspeer schließlich wieder in das Hotel zurückkehrte, erfuhren sie dort keine guten Nachrichten. Das Befinden des Malers hatte sich verschlimmert, und der Arzt, den der Wirt hatte rufen lassen, wollte die Verantwortung nicht übernehmen. Er hatte dem Maler geraten, sich sofort ein Gespann zu nehmen und in eine größere Stadt mit einem wohl eingerichteten Krankenhaus zu fahren, denn vielleicht werde eine Operation nötig. Es scheine eine Vereiterung vorzuliegen. Der Maler wurde von heftigen Schmerzen geplagt und war entschlossen, dem ärztlichen Rat zu folgen. Er bat Langspeer, sich um eine gut federnde Kutsche und vier schnelle Wagenpferde zu bemühen, da er dem Wirt allein in dieser Angelegenheit nicht genügend vertraute. Langspeer machte sich sofort auf den Weg. Er schien sehr aufgeregt zu sein.
    Jim hatte seine Rechnung erstaunlicherweise selbst bezahlt, einschließlich aller Getränke, die er in der Gastwirtschaft bestellt hatte, und war dann nach einem kurzen Abschied von Mattotaupa und dem Maler mit unbekanntem Ziel abgereist. Er hatte vorher noch darauf hingewiesen, daß er eine »kleine Barschaft« in dem Zirkus investiert habe und Mattotaupa nur raten könne, dort über den Winter eine lohnende Beschäftigung anzunehmen. Er habe dem Direktor einen für die beiden Indianer günstigen Vertrag vorgeschlagen und werde sich im Laufe des Winters auch wieder bei dem Unternehmen sehen lassen. Der Vertragsentwurf befand sich bei dem Maler. Die wichtigste Bestimmung darin war eine gewisse Vorauszahlung.
    »Was für ein sonderbarer Mensch, dieser Jim«, sagte der Maler. »So undurchsichtig.«
    Als Langspeer zurückkehrte und der Kranke noch einige Stunden ruhen wollte, ehe er die anstrengende Fahrt wagte, zogen sich Mattotaupa und Harka in ihr eigenes Zimmer zurück. Sie legten sich wieder auf die Betten, und der Junge erzählte dem Vater alles, was er bei den Proben erlebt hatte, leise und mit knappen Worten. Dann lagen sie zwei Stunden ruhig auf den Wolldecken und dachten gemeinsam nach. Es war tatsächlich ein gemeinsames Denken, da sie von den gleichen Voraussetzungen ausgingen und ihre Gedanken aus den gleichen Empfindungen und Vorstellungen heraus entwickelten. Nach zweistündigem Schweigen sagte Mattotaupa:
    »Nicht du wirst ihn töten. Du bist ein Knabe. Ich töte ihn, sobald der Schnee gefallen und wieder geschmolzen ist. Hau.«
    Eine Stunde später rief Langspeer die beiden Dakota. Die Kutsche wartete schon vor der Tür, und der Maler wollte sich verabschieden. Seine Krankheit beschäftigte und ängstigte ihn sehr. Er schluckte eine Medizin, die der Arzt ihm verschrieben hatte, und trank ein halbes

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