Der Weg in die Verbannung
und jeden Abend. Daran geh’ ich kaputt.«
Harka antwortete darauf nichts mehr. Er schloß sich stillschweigend wieder Langspeer an, der am Gitter stehend das Gespräch vermittelt hatte.
»Eine Neuigkeit«, sagte jetzt der Cheyenne zu Harka. »Die Indianergruppe kommt. Das Essen ist ihnen ausgegangen. Geld hatten sie nicht. Wo sollten sie also hin? Sie reiten schon in die Stadt ein, und wie ich höre, gaffen die Leute, als ob sie noch nie in ihrem Leben einen Indianer gesehen hätten. Es ist ein dummes Volk.«
»Zu welchem Stamm gehören die Indianer?«
»Dakota.«
»Dann können wir mit ihnen sprechen!«
»Wenn der Manager es uns erlaubt. Weißt du, wer in den Direktionswagen hineingegangen ist und jetzt überall im Zirkus herumschnüffelt? Jim. Es heißt, er gibt der Direktion Geld zur Überbrückung. Für hohe Zinsen.« Da der Cheyenne sich des Dakotadialektes bediente, mußte er viele Worte und Begriffe umständlich umschreiben. Für »Zinsen« hatte diese Sprache keine Bezeichnung.
Von der Hauptstraße her waren wieder Trompetenschall und die gellende Stimme des Ausrufers zu hören. Langspeer horchte, um so aufmerksamer, je näher der Zug dem Zirkuszelt kam. Harka bemerkte den wachsenden Ärger in den Mienen des Cheyenne. »Was sie alles zusammenlügen!« sagte er. »Du seist der Sohn von Tatanka-yotanka, bei einem Raubüberfall auf die Landvermesser gefangengenommen und würdest heute abend wieder auftreten! Es sollen dafür Sonderkarten verkauft werden. Sie wollen sich wohl die guten Plätze zum zweitenmal bezahlen lassen, um ihre Kasse wieder zu füllen.«
Langspeer und Harka sahen zu, wie Hunderte von Stühlen und auch Bänke angefahren und in den Gängen zwischen den Sitzreihen verteilt wurden. Wenn die Plätze alle besetzt wurden, konnte sich kein Mensch mehr rühren.
Die beiden gingen dann zu dem Pony- und Eselstall, in dem noch zahlreiche Boxen frei waren. Da die Dakotagruppe zu Pferde kam, mußten sie ihre Tiere hierherbringen, und dabei konnte man sie am leichtesten unauffällig beobachten. Harka und Langspeer versteckten sich bei den vier Eseln. Der Clown hatte sie zwar gesehen, das wußten sie. Sie glaubten aber nicht, daß er sie stören werde. Der große breite Mann mit dem Kindergesicht, der ohne seine komische Kleidung und Bemalung nicht komisch, sondern freundlich-ernst wirkte, kam aber doch herbei und kroch kurzerhand zu den beiden ins Stroh.
»Kind«, sagte er traurig zu Harka. »Du hast mir meinen Trick verdorben. Wie konntest du ihn nur verraten? Jetzt habe ich keine Nummer mehr! Was mache ich mit den Eseln ohne Nummer? Der Inspizient will mich hinauswerfen. Ich soll mir einen neuen Trick ausdenken, sagt er. So schnell geht das nicht! Aber wie denkst du? Der Clown, der Knabe und der Wildesel? Damit müßte sich doch etwas machen lassen!«
»Etwas, aber keine Nummer «, sagte Harka. Das Wort Nummer hatte er schon in seinen Wortschatz aufgenommen. Er legte die Finger auf den Mund, um Schweigen bittend, denn soeben kam der Zug der Indianer von der Straße her an. Es war zu hören, wie er sich auflöste, und gleich darauf kamen auch die ersten schon mit ihren Pferden in den Stall. Es waren unverkennbar Dakota, Männer, Frauen und Kinder.
»Da ist einer, den ich kenne!« flüsterte Langspeer hastig. »Wir waren zusammen auf der Reservation. Ich spreche ihn an.« Langspeer ging zu dem Mann hin, der sich verwundert und nicht eben freundlich umdrehte, als er angesprochen wurde. Aber dann blieb er bei Langspeer stehen und unterhielt sich mit ihm, bis ein zierlicher, magerer Weißer kam und das Gespräch unterbrach. »Was wird da gefaselt!« kreischte er den Dakota an. »Vorwärts, die Probe beginnt, es ist schon viel zuviel Zeit verloren worden!«
Der Indianer brach das Gespräch ab, und ohne ein Wort zu erwidern, ging er zur Probe. Langspeer kam zu Harka und dem Clown zurück.
»Der Dakota, mit dem ich gesprochen habe, heißt Der Singende Pfeil «, sagte er. »Schon sein Vater wurde auf die Reservation gebracht. Ihm ist es gelungen, von dort wegzukommen. Die anderen Dakota stammen aus Minnesota und konnten nach dem Aufstand voriges Jahr nicht mehr nach Kanada fliehen. Der Zirkus hat sie angeworben, und nun sind sie ihm ausgeliefert, da sie nur die Dakotasprache verstehen und kein Geld in Händen haben.«
Der Cheyenne und der Clown erfuhren nicht, was Harka hierüber denken mochte, denn der Knabe fragte nur: »Sehen wir uns die Probe an?« und lief auch schon aus dem Stall hinaus.
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