Der Weg in die Verbannung
Langspeer und der Clown mit dem ernsten Gesicht und den Kinderaugen kamen mit. Sie setzten sich zusammen wieder in die gewohnte Loge. Der Inspizient, der am Manegeneingang stand, zwinkerte Harka und Langspeer zu. Der Knabe mochte aber das fleischig-blasse Gesicht des Inspizienten nicht leiden und schaute weg.
In der Manege, die nicht mehr durch ein Gitter abgeschlossen war, fanden sich die Mitglieder der Dakotagruppe zusammen. Der Manager, der vorher den Singenden Pfeil angefahren hatte, leitete die Probe. Er schrie viel, ohne daran zu denken, daß ihn keiner verstand, rannte umher und brachte durch seine Mimik zum Ausdruck, was die anderen nach seinem Vorbild zu tun hätten. Die Pferde kamen in einem Zuge mit Frauen und Kindern herein. Es waren nicht alle Tiere der Truppe, sondern nur einige ausgewählte. Rasch wurden von den Frauen zwei Zelte aufgeschlagen, die Harka als echte Tipi erkannte. Die Kinder wurden in die Zelte geschickt, als ein indianischer Reiter in die Manege sprengte und mit lauter Stimme Worte rief, die außer den Mitgliedern der Truppe nur Harka und Langspeer verstanden. »Männer der Dakota!« rief er. »Hierher haben die weißen Männer uns gebracht. Sie haben uns betrogen. Wir sind ihre Gefangenen ohne Fesseln. Wir müssen ihnen gehorchen ohne Worte. Sie füttern uns, wie wir unsere Pferde füttern, und sie haben die Zügel in der Hand. Sie haben uns befohlen, eine Postkutsche zu überfallen und ein Mädchen zu fangen und zu martern. Schande über uns, aber wir müssen vor den weißen Männern Räuber und Diebe spielen!«
Nach dieser Ansprache riefen alle »hau! hau!« und ritten hinter dem Sprecher her im Kreise der Manege.
Durch den Manegeneingang kam eine vierspännige Eilpostkutsche, mit Pferden, viel schöner und mit viel glänzenderem Fell, als sie je an die Deichsel einer Postkutsche angespannt gewesen waren. Die Dakota erhoben ein wildes Gebrüll, griffen in die Zügel, knallten mit Pistolen und zerrten das Mädchen aus der Kutsche, das Harka als die Kunstreiterin erkannte. Sie wurde an eine schmale Bretterwand angebunden, die die Zirkusdiener inzwischen aufgestellt hatten, und ein fürchterlich bemalter Dakota warf Messer nach ihr, die jeweils zwei bis drei Zentimeter entfernt von dem Körper des Mädchens im Holz steckenblieben. Als die Reihe der im Holz steckenden Klingen die ganze Figur des Mädchens nachzeichneten, brüllten die Dakota wieder und tanzten, Messer und Beile hoch erhebend, in der Manege herum.
In diesem Augenblick knallte eine Flinte vom Manegeneingang her, und eine Stimme rief auf englisch: »Wo ist die gefangene Lady? Vorwärts, ihr Männer, Kundschafter und Cowboys, Rächer des Unrechts, wir befreien sie!« Unter vielem Geknalle stürmten die Cowboys in die Manege. Die messerschwingenden Indianer fielen pflichtgemäß in den Sand, und Buffalo Bill nahm das Mädchen auf seinen Schimmel, um im Triumphritt dreimal ums Rund zu galoppieren.
Dieses Schauspiel wurde zweimal wiederholt. Der Manager mit der zierlichen Gestalt, dessen Körper durch Laster abgemagert war, kreischte, die Indianer gehorchten. Endlich klappte alles nach den Wünschen des Inspizienten. Das blonde Mädchen war rührend, die Indianer wirkten greulich, und die Cowboys traten siegreich genug auf.
Harka saß in der Loge im leeren Zirkuszelt, aber mit seinen Gedanken war er nicht da. Seine Gedanken drangen auch nicht nach außen; niemand konnte sie lesen. Er hatte die Laute seiner heimatlichen Sprache gehört, nicht von Fremden als eine fremde Sprache gesprochen, sondern von Dakota für Dakota. Was hatte er in dieser Sprache vernommen! Dann folgte die Schande, das alberne Schauspiel, Hohn auf die Sitten und das Recht der Dakota, der Sieg der Feinde. Das war zuviel, und in dem Knaben reifte ein gefährlicher Entschluß. Große Entschlüsse pflegten die Indianer weder rasch zu fassen, noch pflegten sie viel darüber zu reden. Wenn Harka seine Gedanken jetzt hätte in Worte fassen wollen, so wäre er vor den Inspizienten hingetreten und hätte so zu ihm gesprochen, wie Mattotaupa zu Alte Antilope gesprochen hatte: »Das ist dein Tod. Du kannst darauf warten. Ich komme!« Aber Harka befand sich nicht in der Prärie, darum verschwieg er seine Gedanken.
Vor seinen Augen lief die Probe weiter ab. Auf den »Überfall auf die Postkutsche« folgte das Siegesfest der Cowboys, das in Schießen und der Vorführung von Reiterkunststücken wie am vergangenen Abend bestand. Der Inspizient erinnerte sich an
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