Der Weg in die Verbannung
husten-, weil sie nicht so laut lachen durfte, wie sie wollte, über alles das, was das Äffchen Dolly in der Schule anstellte. Als der »Lehrer«, der heute von Old Bob gespielt wurde, endlich streng werden wollte, saß die Schülerin Dolly hinter ihm auf der großen Schreibtafel und äffte alle seine zornigen Bewegungen nach.
»Niedlich, aber ganz unpädagogisch«, bemerkte Tante Betty, nachdem sie sich beinahe so weit vergessen hatte zu lachen.
»Ich glaube kaum, daß Cate in der Lage sein wird, die Szene zu kopieren«, beruhigte Samuel Smith mit ungerührtem Gesicht. Tante Betty schaute ihn von der Seite an. Manchmal wußte sie nicht genau, was Samuel eigentlich meinte.
Laut dem Programm, das Herr Finley erworben hatte, traten als letzte Nummer vor der großen Pause die »Kinder des Lords« auf. Die Diener schleppten eine Schloßfassade und eine Gartendekoration herein. Im Winter, mitten im schärfsten Konkurrenzkampf, hatte Old Bob in die eigene Tasche gegriffen, um seiner Nummer einen noch würdigeren Rahmen zu geben. Die Kinder erschienen wieder zu Pferd, auf ihren Rappen und Schimmeln. Sie sprangen ab; die Jungen ohne Hilfe; den beiden Mädchen wurden von Dienern die Steigbügel gehalten. Die Mädchen knöpften den Rock ihres langen Reitkleides ab und standen nun in kleinen Stulpenstiefeln, langen Spitzenhöschen, Weste und Bluse da, nach Gestalt und Aussehen zwei kleine »Cates«, während sich Douglas mit dem größeren der beiden Jungen identifizierte. Die Kinder gingen im Garten spazieren, vier Esel kamen hereingelaufen, ohne Sattel, ohne Zaumzeug, und auf Anstiften eines der Mädchen bestiegen die Kinder die Tiere.
»Wie richtig gesehen!« seufzte Tante Betty. »Stets sind die Mädchen die Anstifterinnen, und die Jungen fallen darauf herein.«
Niemand in der Loge fand jedoch Zeit, über die weibliche Psyche weiter nachzudenken, denn die Esel hatten ihr gut eingeübtes rhythmisches Bocken begonnen, und die Kinder parierten, auf die Sekunde, mit der gleichen Disziplin.
»Eine Idee und gekonnt, ohne Zweifel«, sagte wieder der eine der drei Herren in Loge 7. »Die Dekoration müßte natürlich noch ganz anders aussehen.«
Cate und Douglas stand der Mund offen, ohne daß sie selbst es bemerkten. In der Manege lief alles wie am Schnürchen; Old Bob spielte den entsetzten Vater, die Stallburschen kamen, wurden abgeworfen, die vier Kinder des Lords lachten und setzten sich verkehrt auf die Esel, um friedlich hinauszureiten. Für den Beifall bedankten sie sich wieder auf den schönen Pferden, den Rappen und den Schimmeln, auf denen sie jetzt ohne Sattel ritten. Der größte Junge nahm das Pferd wieder hoch und hielt sich sattellos, nur mit den Schenkeln angeklammert.
»Alle Achtung!« sagte Samuel Smith laut.
Aber den Zylinder nahm der Junge wieder nicht ab.
»Es ist alles doch nur äußerlich angelernt«, flüsterte Tante Betty. »Eine wirklich gute Erziehung wie sollen diese unglücklichen Zirkuskinder dazu kommen!«
Cate hörte von dem ganzen Satz nur zwei Worte: »Kinder« und »unglücklich«. Warum waren diese Kinder, die jetzt wieder der Beifall umtoste, unglücklich? Was führten sie überhaupt für ein Leben? Wie sah ihre Wirklichkeit aus, wenn sie die Manege verlassen hatten und den Augen der Zuschauer entschwunden waren? Wie hatten sie solche Kunststücke gelernt?
»Papa«, sagte Douglas zu seinem Vater, dem gesetzten Herrn Finley. »Den Jungen möchte ich mal kennenlernen! Geht das?«
»Aber keineswegs, Junge. Artistenpack und wir, das sind zwei verschiedene Welten. Der Junge bewegt sich zwar wie ein Lord, aber er ist eben keiner.«
Douglas hatte schon einmal eine ähnliche Antwort erhalten, als der Vater ihn im Gespräch mit einem der Sträflinge angetroffen hatte, die in der Mühle beschäftigt wurden. Damals hatte der Junge lange nachgedacht. Diesmal war sein innerer Widerstand gegen die väterlichen Auffassungen schon geringer. Vielleicht war das alles so, weil es eben so war, und der Vater hatte recht. Aber eine letzte Bemerkung zur Sache mußte der Junge sich noch erlauben, sonst wäre er erstickt. »Wenn sein Vater ein wirklicher Lord wäre, würde er vielleicht mich nicht empfangen!«
Douglas bekam eine Ohrfeige. Der gut republikanische Herr Finley schlug nach seiner Gewohnheit mit dem Handrücken, so schnell, daß niemand es bemerkte außer Tante Betty und Cate. Cate wurde für Douglas rot. Der Junge setzte eine trotzige Miene auf. Da seine Gedanken nach wie vor frei waren,
Weitere Kostenlose Bücher