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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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weiter darüber gesagt, was er am Ende der Vorstellung unternehmen wollte.
    Er sagte aber jetzt: »Mache dich fertig, Harka Steinhart, und gehe hinüber zu Ronald. Er braucht dich.«
    Das ließ sich hören. Harka fuhr in seine Gamaschenhosen und in die Mokassins und lief zu dem Wagen des Dompteurs. Als er eintrat, fand er noch dieselbe Situation vor wie am Tage. Ronald zündete eben mit einer Hand etwas umständlich die Lampe an. Dieser eine Arm tat ihm von dem Prankenhieb in der Probe noch weh. Frank Ellis lehnte an der Wand. Der Schweiß war ihm schon wieder angetrocknet.
    »Harry«, sagte Ronald, »in zwanzig Minuten beginnt meine Nummer. Ich werde sie vollkommen neuartig spielen, Improvisation. Ich habe mir das heute gründlich überlegt, da ich endlich mal Zeit und Ruhe hatte, und habe es Herrn Ellis auch vorgetragen. Er scheint mit allem einverstanden zu sein. Zieh jetzt den Zwischenvorhang hier am Fußende von meinem Klappbett vor, damit Tigra Herrn Ellis nicht mehr sieht. Sobald der Vorhang gezogen ist, soll Frank Ellis sofort durch die Tür verschwinden und sich möglichst nirgends mehr zeigen, wo Tigra ihn wittern kann. Ich garantiere sonst für nichts. Das Tier ist ganz unzuverlässig, das ist das Resultat der ungleichmäßigen Behandlung, zu der ich in den letzten Jahren gezwungen war. Ich habe das Herrn Ellis erklärt. Auch ein Mensch wird tückisch, wenn er bald gestreichelt und bald angebrüllt wird. Das nur nebenbei. Wenn Frank Ellis sich in Sicherheit gebracht hat, sorgst du dafür, daß mit dem ersten Klingelzeichen alles aus dem Gelände hier verschwindet, auch die Stallburschen. Ich bringe Tigra dann allein hinüber in den Laufkäfig.«
    »Gut.«
    Harka zog den Vorhang so ruhig zu, als schließe er daheim den Zelteingang. Tigra schaute aufmerksam auf den Jungen, rührte sich aber nicht.
    Zur selben Zeit der Pause war Samuel Smith mit Cate und Douglas in der Tierschau unterwegs. Sobald die drei dem Gesichtskreis von Tante Betty und Herrn Finley entschwunden waren, zeigten die Kinder ihre Freude und bedankten sich stürmisch. Der Weg führte sie zuerst in die Stallzelte, wo die Elefanten, die Kamele, die Esel und die Pferde angekettet standen. Smith interessierte sich für die Pferde, und der Stallbursche, der sich über den Hereinfall von Frank Ellis hatte kranklachen wollen, erspähte den gut gekleideten Vater mit den beiden Kindern und zeigte sich bereit, Auskunft zu geben. Er hoffte auf ein Trinkgeld, da er nur eine geringe Abschlagzahlung auf seinen Lohn erhalten hatte. Smith belohnte ihn mäßig und suchte vor allem eine Information über die Indianertruppe zu erhalten. Über diese wußte der Bursche nicht viel zu sagen. Er versicherte nur immer wieder, daß die Schlußnummer an diesem Abend »unerhört und sensationell« ablaufen werde. Cate brachte schüchtern die Frage vor, wo die Kinder des Lords jetzt seien.
    »Bedaure, mein kleines Fräulein, bedaure, aber es ist den Artisten von der Direktion ausdrücklich untersagt, während der Vorstellung mit Zuschauern zu sprechen.«
    »Es herrscht hier eine angenehm strenge Ordnung!« meinte Smith anerkennend.
    »Kann man sagen, Herr, kann man sagen. Das ist das Werk des Herrn Ellis, unseres Inspizienten. Er hat die Augen überall und nirgends. Ich meine, sonst überall, heute aber nirgends.«
    Smith zog erstaunt die Augenbrauen hoch, denn er fand diesen letzten Satz etwas konfus und unverständlich. Daher ließ er den Stallburschen, der ihm allmählich geschwätzig zu werden schien, stehen und ging mit den Kindern zu dem Käfig des Äffchens hinüber, das gekränkt in einer Ecke saß, weil ihm in dieser Frühlingsnacht am oberen Mississippi viel zu kalt war. Die Löwen- und Tigerkäfige wurden für das Publikum schon weithin abgesperrt. Die Vorstellung sollte nach der Pause mit dem Raubtierakt beginnen.
    Der Zuschauerraum hatte sich wieder gefüllt. Ein leises Summen erwartungsvoller Gespräche ging durch das große Zelt. Die Musik setzte mit wildem Rhythmus ein. Ronald betrat durch die kleine Käfigtür die Manege und schloß sorgfältig hinter sich. Die Helfer am Laufgitter und die beiden Helfer mit dem Wasserschlauch standen bereit.
    Der Dompteur trug eine Phantasiekleidung, die exotisch wirken sollte. Die linke Schulter und die Brust waren von einem imitierten Leopardenfell bedeckt. Ein breiter Ledergürtel hielt Peitsche und Pistole. Die Riemen der Sandalen gingen kreuzweise bis zum Knie herauf. Die Handgelenke und der Unterarm waren von

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