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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Jungen, sagte »gewonnen« und schwankte dann wie ein Betrunkener zu seinem Wagen. Harka ging mit ihm. Als Ronald auf dem Klappbett lag, gab der Junge ihm eine Zigarette. Er wußte genau, wo Ronald sie versteckt hatte. Das geschminkte Gesicht war eingefallen, die Pulse hämmerten. Langsam, ganz langsam wurde der Atem ruhiger. »Ich schicke Old Bob zu dir«, sagte Harka schließlich. »Ich muß weg; unsere Nummer kommt noch.«
    Der Junge suchte Old Bob und fand ihn endlich in der Kabuse bei Mattotaupa. Die beiden hockten beieinander und beschauten im schwachen Lampenlicht ein Buch mit Text und Bildern. Sie waren so vertieft, daß sie Harka nicht fragten, was ihn herführe, sondern ihm winkten, sich die Bilder mit anzuschauen, und der Junge wollte wenigstens feststellen, was es hier zu sehen gäbe, ehe er darum bat, sein eigenes Anliegen vorbringen zu dürfen. So kauerte er sich zu den beiden Männern. Das Buch war groß, in Leder eingebunden, mit Goldschnitt, und dies beides gefiel Harka.
    Auf den Bildern waren Indianer und Weiße zu sehen; einige abstoßende Indianer und auch abstoßende Weiße, einige Indianer und auch einige Weiße, die sogleich Freundschaft und Vertrauen erweckten. Harka fragte, wer das Buch geschrieben und die Bilder gemalt habe, und erfuhr, daß der Schreiber dieses Buches Cooper geheißen habe und schon gestorben sei.
    In diesem Buch, das den Titel »The Deerslayer« trug, erzählte der Mann mit Namen Cooper von den Kämpfen der roten und der weißen Männer in den Wäldern und an den Seen des Ostens, von denen die roten Männer jetzt schon längst vertrieben waren. Auf dem letzten Bild sah man einen Mann an einen Baum gefesselt und das davor angefachte Feuer, ferner einen Häuptling und eine große Schar Krieger, zwei junge weiße Mädchen, die bei einer schönen jungen Indianerin saßen, und im Hintergrund, noch hinter Bäumen, uniformierte Soldaten mit gefälltem Bajonett. Obgleich Harkas Interesse sofort gefesselt war, fühlte er sich nun doch verpflichtet, seine Bitte vorzubringen, daß Old Bob sich um Ronald kümmern möge, und dieser ging auch sogleich. So blieb Harka mit dem Vater allein.
    »Wir haben Zeit«, sagte Mattotaupa. »Es werden heute alle Nummern gespielt, das Programm läuft bis über Mitternacht, und es wird eine zweite Pause eingelegt. Laß mich dir jetzt erklären, wie wir spielen werden. Ich habe es mir genau überlegt. Red Jim ist hier. Er sitzt in der Loge Nummer 6, du hast ihn gesehen. Jim war bei mir. Er will an Stelle von Buffalo Bill mit uns auftreten; von den Cowboys, die noch beim Zirkus sind, können nur ganz wenige wirklich etwas. Mit diesen werden wir arbeiten. Old Bob hat mir von der Geschichte erzählt, deren Bild du in dem Buch hier siehst. Diese Geschichte kennen auch viele unter den Zuschauern. Etwas Ähnliches werden wir spielen, das gefällt den weißen Männern und entwürdigt uns nicht. Aber zum Schluß kommen nicht die Langmesser, sondern eine Gruppe Cowboys. Einige von diesen und einige von uns fallen in den Sand. Dann kämpft der Anführer der Cowboys mit seinen zwei oder drei besten Leuten gegen uns, gegen mich und dich und vielleicht gegen Singenden Pfeil oder einen anderen Krieger der Dakotagruppe. Der Ausgang des Kampfes bleibt offen; wir werden sehen, wer geschickter ist. Wir werden einander nicht töten oder verwunden, aber wir werden viel knallen und versuchen, einer den anderen mit dem Lasso zu fangen und zu fesseln. Es wird viel Staub aufwirbeln, und es wird großes Getöse geben und lange dauern. Was danach geschehen wird, kann ich dir noch nicht sagen; aber halte die Augen und Ohren offen und achte auf jeden Wink, den ich dir gebe. Richte dich nach mir!«
    »Ja, Vater.«
    Im Zirkuszelt, dessen Planen sich vom aufkommenden Nachtwind leicht bauschten, hatte sich die Stimmung eines großen Tages durchgesetzt. Jedermann war zufrieden mit dem, was ihm für den erlegten doppelten Eintrittspreis bereits geboten worden war, und erwartete noch Besseres. Stellvertreter von Frank Ellis war der Pferdedresseur im Frack, der im Herbst in der Pause Harka für den Zirkus anzuwerben versucht hatte. Er hatte heute noch keinen Ärger erlebt und als stellvertretender Inspizient nicht viel zu tun gehabt. Die Vorstellung rollte ab wie ein Rad, das ein für allemal auf das ihm zukommende Gleis gesetzt ist. Die erste besondere Maßnahme, die der Stellvertreter traf, war die Anweisung, daß alle jeweils entbehrlichen Stallburschen und Zirkusdiener sich bei den

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