Der Weg zur Hölle
vernünftiger sein muss als vorher?
Eines schönen Sommertages hatte ich mich selbst davon überzeugt, meine Bewegungsfähigkeit verloren zu haben. Ich hing mitten auf einer Straßenkreuzung und wartete vor Panik zitternd und schreiend auf irgendeinen anderen Geist, der mich zur Seite schieben konnte. Sonst hat man in großen Städten fast immer Mitgespenster in Sichtweite, doch diesmal dauerte es prompt zwei Tage, bis eines auftauchte. Inzwischen waren genau 6012 Autos, 817 Busse, 93 Fahrradtaxen, 18 Sattelschlepper und eine vierspännige Hochzeitskutsche durch mich hindurchgefahren.
Es war jämmerlich.
Außerdem habe ich eine ganze Reihe ebenso erstaunlicher wie lästiger Phobien. Auf Anraten meines damaligen Therapeuten, der inzwischen mein Ex-Therapeut ist, fing ich an, mir Hobbys zu suchen, die mich unweigerlich mit meinen Ängsten konfrontieren würden. So hat es mich ja eigentlich erst zu den Parkbänken verschlagen. Wegen der Mülleimer und meiner elementaren Furcht vor Schmutz und Keimen. Es gibt nämlich kaum Bänke in dieser Stadt, neben denen keine Abfallbehälter sind. Eigentlich eine fürchterliche Unsitte. Es ist ein bisschen, als würden in einem Restaurant alle Tische direkt neben der offenen Toilettentür stehen. Als wären Parkbänke Notlösungen, die nur dann benutzt werden, wenn man partout nicht weiter gehen kann, anstatt an lauen Frühlingsabenden auf ihnen zu verweilen, um den Vögeln beim Vorspiel zuzuhören. Man ist gezwungen, neben den vergammelten Überresten der letzten Grillparty Platz zu nehmen, und im Sommer ist es genau so, nur obendrein mit Wespen.
Diese Tiere spüren unsere Anwesenheit sehr genau und versuchen gelegentlich, uns zu stechen. Von der Panikattacke, die mich überkam, als ich das zum ersten Mal erlebte, erzähle ich aus Gründen der Selbstachtung besser nicht.
Im Prinzip waren es die Mülleimer, die mich davon überzeugten, an dem Abend die Polizisten zu begleiten, anstatt weiter Parkbänke zu observieren. Kein Gespenst kann immer nur gegen seine Ängste ankämpfen und nach der Vermischung mit Wassermann stand mir einfach nicht der Sinn danach, in der Nähe keimiger Abfallkübel herumzuschweben.
Ich entschied mich also dagegen und merkte sofort, dass Freude in mir aufkam. Zwei sturzbetrunkenen Mordermittlern bei der Arbeit zuzusehen, besaß mit Sicherheit Unterhaltungswert.
Reemund und Wedelbeck hatten sich erfolgreich auf die Rücksitze eines Taxis gezwängt und ich okkupierte die Beifahrerseite mit dem Widerwillen, den Geister beim Autofahren empfinden. Das Fahrzeug bewegt uns nämlich nicht, und wir sind gezwungen, im richtigen Tempo mit zu schweben. Wie fast alle Toten bin ich darin ausreichend geübt, aber da ich, fasziniert von meinen beiden neuen Beobachtungsobjekten, nicht auf den Wagen achtete, fand ich mich gelegentlich nach überraschenden Kurven auf der Straße wieder, oder auf dem Schoß des Fahrers.
»Eduard Koss«, sagte Wedelbeck, und eine Träne lief ihm die Wange herunter. Das hatte nichts mit Trauer oder Wehmut zu tun, sondern einfach damit, dass Reemund ihm eine Minute vorher eine ganze Handvoll scharfer Hustenbonbons aufgenötigt hatte, um sich dann selbst eine ebenso große Menge in den Mund zu schieben. Den eigenen Alkoholgeruch mit dem einer Minzfabrik zu übertünchen, hielt ich für ausgesprochen dämlich, zumal die Schärfe der Bonbons die ohnehin schon stark in Mitleidenschaft gezogene Gesichtsmuskulatur der beiden Polizisten nur noch weiter lähmte. Jetzt saßen sie da und weinten leise.
»Wie heißt der?«, fragte Reemund.
»Koss. Eduard Koss.«
Der Taxifahrer drehte sich um.
»Der Psychofritze aus dem Fernsehen?«
»Keine Ahnung. Gucken Sie auf die Straße«, lallte Reemund im Befehlston, aber der Fahrer ignorierte das.
»Meine Frau findet den toll. Der Koss sagt dies, der Koss sagt das!«
Reemund rieb sich eine Träne aus dem Auge und sah seinen Kollegen an.
»Meinen wir den Koss?«
Wedelbeck nickte.
»Na sehen Sie.« Das richtete sich wieder an den Fahrer. »Da haben Sie ab jetzt ein Problem weniger. Der ist tot.«
»Dolle Sache. Und Sie sind von der Polizei?«
Der zweifelnde Unterton war nicht zu überhören.
»Keine Ahnung«, sagte Reemund schlicht. Ihm fiel ein Halsbonbon aus dem Mund. Ächzend klaubte er es vom Boden auf und lutschte weiter drauf herum. Wedelbeck schüttelte resigniert den Kopf.
Den Rest der Fahrt verbrachte der Taxifahrer damit, den Polizisten seine Meinung zur hochkriminellen Gegenwart
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