Der Weg zur Hölle
eigentlich keinen Einfluss auf uns besitzen. Und solange mir das niemand erklären kann, bin ich lieber vorsichtig. Außerdem ist es kein Spaß, von oben bis unten mit den Düften eines gnadenlos ungewaschenen Menschen angefüllt zu sein.
Der Mann war mir bekannt. Er hieß Rudolph Wassermann, reagierte verärgert auf Astrologie, war hochintelligent und ein häufiger Schlafgast in den Parks von Berlin. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, hatte er einen Lehrstuhl für Quantenphysik innegehabt, bevor irgendein furchtbares Ereignis vor einigen Jahren sein Leben zerstörte. Es gab eine Vielzahl von Legenden darüber, was das gewesen sein mochte, und eine klang so unglaublich wie die andere. Sicher war nur, dass er seine Lehrtätigkeit inzwischen auf die Unterweisung von Eichhörnchen beschränkte und draußen schlief.
Eine von Wassermanns riesigen Händen hielt die Griffe von drei prall gefüllten Plastiktüten umklammert, während über der anderen etwas hing, dass perfekt wie eine tote und bereits halb verweste Katze ausgesehen hätte, wäre nicht ein haarloser Schwanz dran gewesen, der gelegentlich zuckte. Außerdem war das Tier mit etwas gesprenkelt, dass wie Blut aussah. Dieser atmende Kadaver war ein weiterer Grund für Wassermanns Ruf als Original, den er sich in den letzten Jahren hart erarbeitet haben musste.
Der große Mann sah lange auf die beiden Polizisten hinab, die beim donnernden Klang seiner Bassstimme erschrocken zusammengezuckt waren, dann breitete sich auf seinem Gesicht ein Lächeln aus, dass nicht einmal von den Naturgewalten selbst einen Widerspruch geduldet hätte.
»Wenn das nicht die Herren Hauptkommissare sind! Hat sich die Kommune für diesen Winter eine andere Strategie einfallen lassen? Anstatt die Mietbefreiten in die Wälder am Stadtrand zu fahren, kommen die Beamten persönlich und wärmen die Parkbänke vor? Das ist nett.«
»Ist das Ihre Bank?«, stammelte Wedelbeck.
»Wenn man bedenkt, dass ich seit Jahrzehnten keine Steuern zahle, könnte man sagen: nein. Aber ich komme gern zum Schlafen her, wenn ich in der Stadt bin. Es gibt hier nur wenige Bänke, die zu meiner Größe passen. Den ganzen Sommer über bin ich draußen im Wald.«
»Wenn Sie etwas Stolz haben, schlafen Sie nicht hier«, sagte Reemund mit schwerer Zunge. »Die Bank hat Saugnäpfe.«
»Wirklich?«, fragte Wassermann, ehrlich interessiert. »Das ist mir bisher nicht aufgefallen.«
Reemund hob den Zeigefinger.
»Ich bin ja auch Polizist.«
Wedelbeck stand auf, packte seinen Chef und zog ihn recht mühelos auf die Beine. Der schien das kaum zu bemerken.
»Schlafen Sie auf dem Weg. Das ist besser.«
Wassermann hob die Augenbrauen.
»Ich würde dieser Bitte ja gern Folge leisten, aber da unten ist es kalt.«
»Guter Einwand«, sagte Reemund, entledigte sich umständlich seines Mantels und breitete ihn wie eine Decke auf dem Boden aus. »Bitte sehr.«
Sein Kollege starrte betreten auf seine Schuhspitzen, aber Wassermann war begeistert.
»Sie schenken mir Ihren Mantel?«
»Ich wünsche eine gute Nacht. Und nicht vergessen: Schön auf dem Weg bleiben, mindestens bis morgen Mittag.«
»Ich werde es versuchen«, versprach der abgerissene Hüne. »Aber Herr Kommissar, was haben Sie davon, wenn ich den Leuten im Weg rumliege?«
»Ein gutes Gefühl. Und das brauch ich gerade.«
»Wenn das so ist, bin ich Ihnen gern behilflich.«
Wassermann trat vor, setzte sich mit einer schwungvollen Bewegung auf den Wintermantel, legte sich die willenlose Katze in den Schoß und erhob die Faust: »Nieder mit den Saugnäpfen!«
»Genau so«, sagte Reemund und erwiderte den Gruß. »Und Sie, Wedelbeck, besorgen uns jetzt ein Taxi. Ich habe Hunger. Außerdem ist mir kalt.«
In dem Moment begannen völlig synchron die Mobiltelefone beider Polizisten zu klingeln.
* * *
KAPITEL 1 - BALKONE
BALKON: (ital.), ein an der Außenseite eines Gebäudes vorspringender, unbedachter Austritt, welcher bald länger, bald kürzer, bald um einen Teil des Hauses herumgeführt und von einer oder mehreren Thüren aus zugänglich ist. Der B. besteht aus einer oder mehreren Stein- oder Eisenplatten, welche auf eingemauerten steinernen oder eisernen Konsolen ruhen.
(Meyers Konversationslexikon, Vierte Auflage 1885-1892)
Ich bin Hypochonder.
Natürlich ist es für einen Toten eine merkwürdige Eigenschaft, sich vor potentiell tödlichen Krankheiten zu fürchten, aber wo steht bitteschön geschrieben, dass man nach dem Ableben
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