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Der Weg zur Hölle

Der Weg zur Hölle

Titel: Der Weg zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaspar Dornfeld
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etwas wiedererkannte. Selbst postum sind wir Opfer unserer Gewöhnlichkeit.
    Der Balkon war schmal und von drei Scheinwerfern hell erleuchtet.
    Die Brüstung, die lediglich aus einer glatten Betonplatte bestand, wurde von einer langen Zeile aus Blumenkästen geziert, die — wie sollte es bei so einem Hausherren anders sein? — eine Menge vertrockneter Pflanzen enthielt. Unwillkürlich drängte sich mir die Frage auf, wer das Ganze wohl irgendwann einmal angelegt hatte. In der Mitte gab es eine Stelle, wo das Gestrüpp eingedrückt war, als hätte hier ein schwerer Gegenstand gelegen.
    Ein Scheinwerfer war direkt auf den Boden gerichtet. Dort hockten drei Männer von der Spurensicherung in Spezialanzügen und arbeiteten. Woran, konnte ich nicht erkennen, und zu dicht wollte ich nicht heran.
    Reemund hatte ihnen kurz über die Schulter gesehen. Er brummte leise, ging um die Männer herum, schaute über die Brüstung, runzelte die Stirn und lud Wedelbeck mit einem Wink dazu ein, seinem Blick zu folgen. Auch ich schaute hinunter.
    Da baumelte eine lederne Aktentasche, etwas mehr als einen Meter unterhalb der Balkonkante. Sie war an einer Schnur befestigt, die wiederum an das Haltegitter für die Blumenkästen geknotet war. Der Wind, der hier oben sogar noch stärker war als zu ebener Erde, wirbelte die Tasche herum, und die Metallschnalle schlug mehr oder weniger rhythmisch gegen ein kleines Regenabflussrohr, das aus der Unterseite der Brüstung ragte. Das erzeugte ein immer wiederkehrendes metallisches Geräusch.
    »Ich kenne diese Tasche«, sagte Wedelbeck.
    »Woher denn?«
    »Sie war das Markenzeichen von Eduard Koss. Der Menschlichmacher, wenn Sie so wollen. Ein Schönheitsfleck. Ansonsten trat er immer seriös auf, im Anzug, sehr stilsicher, und die alte Ledertasche war ein gewollter Bruch. Verstehen Sie?«
    »Ich verstehe.«
    »Aber was soll das? Warum ist die hier angebracht?«
    Reemund schwieg, besah sich die Konstruktion, die eingedrückte Stelle im Gestrüpp, schaute in die Wohnung zu deren besoffenem Mieter und schüttelte den Kopf. Dann ging er zu den drei Männern der Spurensicherung zurück. Er bat um ein paar Gummihandschuhe, zog sie an, und bevor die Herren auf dem Boden noch irgend eine Gelegenheit zum Widerspruch gehabt hätten, klaubte er einen ungefähr bowlingkugelgroßen Gegenstand aus ihrer Mitte und setzte ihn auf die eingedrückten Pflanzenreste im Blumenkasten.
    Ich zuckte dermaßen heftig zurück, dass es mich gut drei Meter über den Balkon hinaus katapultierte.
    Es war der Kopf eines Menschen.
    Womöglich wundert es Sie, dass sich ein Geist beim Anblick des Todes erschreckt, aber Sie müssen bedenken, dass man den eigenen toten Körper nie bewusst wahrnimmt. Nach dem Tod dauert es mindestens eine Woche, bis man sich auf die neue Existenzform eingestellt hat, was für diese Übergangsphase einen Zustand kompletter geistiger Verwirrung mit sich bringt. Danach ist man zwar wieder bei Verstand, erinnert sich aber kaum noch daran, wer man früher war, sodass — entgegen anderslautender Gerüchte — niemand seiner eigenen Beerdigung beiwohnt. Und auch später halten sich Geister vom Tod fern. Den Lebenden können wir ohnehin nicht helfen und der Anblick frisch Gestorbener bringt angeblich Unglück, wenn auch keiner weiß, was für eins. Wir gehen dem Tod aus dem Weg. So einfach ist das.
    Der Kopf des Mannes, der Eduard Koss geheißen hatte, war ein ekelerregender Anblick. Die Augen waren vorgequollen und blutig rot. Die Zunge hing ihm schlaff aus dem Mund heraus. Ich schüttelte mich und flog ein paar Mal zur Beruhigung die Allee der Kosmonauten entlang.
    Als ich mich wieder halbwegs im Griff hatte, sah ich mir das makabere Ensemble aus einiger Entfernung nochmal an, und mir blieb der Mund offen stehen. Ich hatte ein perfekt inszeniertes Bild vor mir! Der Kopf und die Aktentasche auf Armeslänge schräg darunter, das ergab die perfide und zutiefst demütigende Skizze eines kompletten Menschen. Minimalistisch, aber deutlich erkennbar. Selbst das aus der Balkonbrüstung ragende kleine Rohr hätte man als …
    Ich rief mich zur Ordnung. Langsam flog ich auf den Balkon zurück, so weit wie möglich von dem Kopf entfernt.
    Ich war nicht der einzige, dem Reemunds Handlung einen Schlag versetzt hatte. Die drei Leute von der Spurensicherung starrten den Kommissar entgeistert an. Wedelbeck hatte wieder die Hand vor die Augen gelegt und schüttelte resigniert den Kopf. Schweigen lag wie ein fetter,

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