Der Weg zur Hölle
schwarzer Ölteppich über dem Balkon. Dafür hörte man von unten wild durcheinander Leute rufen. Reemund beachtete das nicht. Er nickte bloß und sah seinen Stellvertreter an.
»Der Wind. Eigentlich lag der Kopf hier drauf. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Sie hätten das doch einfach sagen können. Ich hätte es auch so kapiert. Jetzt nehmen Sie schon den Kopf weg, oder wollen Sie morgen mit dem Ding in der Zeitung erscheinen?«
Reemund sah nach unten, von wo es unaufhörlich blitzte.
»Zu spät. Trotzdem, es war wichtig.«
Er nahm den Kopf und legte ihn auf den Boden zurück.
»Weitermachen.«
Dann wandte er sich seinem Kollegen zu.
»So Wedelbeck. Da Sie offenbar etwas von unserem Opfer wissen, erzählen Sie mal.«
»Ich weiß auch nur das, was alle anderen wissen.« Er bedachte Reemund mit einem ratlosen Blick. »Zumindest alle, die Interesse an der Welt haben.«
Reemund überging das.
»Eduard Koss war Psychologe«, fuhr Wedelbeck fort. »Seit gut zehn Jahren hat er sein Geld mit einer Fernsehsendung verdient, in der Familien mit Problemen von ihm vor laufender Kamera über ein paar Tage hinweg therapiert wurden. Daraus wurde jeweils eine Fünfundvierzig-Minuten-Sendung zusammen geschnitten. Das war sehr schick, als es anfing, aber seit Jahren geht das Interesse an solchen Sendungen kontinuierlich zurück. Außerdem gibt es immer wieder heftige Kritik. Menschen werden dazu gebracht, vor der Kamera ihr Leben auszubreiten und in Großaufnahme möglichst abendfüllend zu heulen. Außerdem hilft so eine Kurztherapie niemandem. Die Kritiker sagen, dass die Fernsehleute zwar mit der Behauptung antreten, Scherben zu kitten, aber unterm Strich wird der Müllhaufen nur viel größer.«
»Ich verstehe.«
»Koss' besonderes Markenzeichen war seine väterliche Strenge, verbunden mit seiner imposanten, graumelierten Erscheinung. Das machte ihn zwar auch nicht glaubwürdiger, hielt aber die Quoten lange oben. Er wurde mehr als einmal zum schönsten Mann des deutschen Fernsehens gekürt.«
Reemund warf einen kurzen Blick auf den abgetrennten Kopf, brummte irgendwas von wegen, das könne er nun garnicht verstehen und ging.
Kaum waren wir zurück im Wohnzimmer, griff er sich einen Stuhl und setzte sich breitbeinig dem Hausherren gegenüber, der es wie durch ein Wunder geschafft hatte, noch nicht von dem seinen herunterzufallen. Ob Reemund ihn wirklich befragen wollte? Glaubte er, dass sein eigener Alkoholpegel die Kommunikationsbarrieren eines anderen Besoffenen durchdringen könnte? Vielleicht ist das wie bei Akzenten. Ich habe mal in der S-Bahn eine Gruppe fröhlich schwatzender Afrikaner gesehen, die wohl aus verschiedenen Teilen des Kontinents stammten. Sie redeten Deutsch miteinander und verstanden sich hervorragend. Ich sie fast garnicht.
Jemand wollte Reemund ansprechen, doch der hob gebieterisch die Hand, und man ließ ihn in Ruhe. Er neigte den Kopf zur Seite, bis er mit dem Mann, der ihm gegenübersaß und den Blick gesenkt hielt, auf einer Höhe war und wartete. Gelegentlich schnalzte er mit der Zunge.
Eine Minute verging, dann zwei, und ich hatte schon den Verdacht, der verwahrloste Mieter würde mit offenen Augen schlafen, als er plötzlich den Kopf hochriss.
»Wo ist meine Familie?«
»Keine Ahnung«, antwortete Reemund trocken. »Vielleicht begraben unter dem Geschirr in der Küche.«
»Fick dich doch.« Der Kopf des Mannes sank wieder herunter.
»Name?«, brüllte Reemund und der Hausherr zuckte zusammen.
»Hans-Jochen Meyer«, sagte er kleinlaut und hob wieder den Kopf. »Sind Sie auch Psychofritze?«
»Nein.«
»Glück gehabt.«
Dann fielen ihm die Augen zu und einen Augenblick später schnarchte er.
Wedelbeck klatschte unternehmungslustig in die Hände.
»Das klang recht eindeutig«, sagte er und wandte sich an die beiden Uniformierten neben dem Stuhl. »Packen Sie ihn hübsch ein, wir nehmen ihn mit in die Ausnüchterungszelle. Der Rest findet sich.«
Reemund brummte missbilligend, sagte aber nichts und stand auf.
Die Frau namens Schilling, die mich, abgesehen von ihrer wild abstehenden roten Haarmähne, stark an eine sizilianische Mama aus einem Nudelsoßen-Werbespot erinnerte, kam mit einer anderen Frau zurück in die Wohnung.
»Chef? Ich hab hier Frau Erika Winkowski. Sie hat die Polizei gerufen.«
Frau Winkowski strahlte die hektische Begeisterung einsamer Menschen aus, die plötzlich etwas Interessantes zu erzählen haben. Reemund schien das auch zu bemerken, denn er hob
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