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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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bevorstehende Heimreise, während die Darwin eine breite Furche in den Schnee am Ufer des Burggrabens pflügte. In den nächsten Wochen würde er versuchen, diesen traurigen, seltsamen Entomologen kennenzulernen – wirklich kennenzulernen. Offenbar hatte er den Mann unterschätzt.
     
    Im selbstgefälligen Heiligtum des Iztac-Tempels, vor einem Kamin, der massive Schatten seines Publikums an eine weißgetünchte Wand warf, nahmen Francis Lostwax und Vaxcala Coatls ihren Nachmittagstee ein.
    »Ich habe gehört, daß Sie Ihr Insekt wiederhaben«, sagte Vaxcala und versuchte eine eingeschlafene Konversation zu retten.
    »Ein Mauerflicker hat den Käfig gefunden, und der Cortexclavus war nur ein paar Meter davon entfernt.« Francis’ Stimme war schwer von unendlicher Müdigkeit. »Ich glaube, er ist bald, nachdem er das Ufer erreicht hatte, an der Oberfläche aufgetaucht und hat dann kehrtgemacht.«
    Die Wiedervereinigung mit dem Cortexclavus war bemerkenswert freudlos gewesen. In Francis’ Augen war das Tier nun für immer besudelt.
    Er nannte es nicht mehr Ollie.
    Trotzdem hegte er nicht die Absicht, wegen dieser neuen Eigenschaften des Käfers auf den Poelsig-Preis zu verzichten.
    »Sind Sie deprimiert?« fragte Vaxcala.
    »Nicht direkt – aber ich fühle mich – verseucht.«
    »Verseucht.« Vaxcala ließ das Wort auf der Zunge zergehen, und es gefiel ihr. »Ja, sehr gut. Haben Sie schon früher einmal irgend jemandem Schaden zugefügt?«
    »Auf der Nerde bekommt man zum dreizehnten Geburtstag ein Fermentgewehr«, erwiderte Francis kühl. »Und wenn man mit einer Lehrerin schläft, gilt man als erwachsen.« Plötzlich schämte er sich. »Tut mir leid. Es wird mir zu langweilig, mich selber zu hassen, und deshalb versuche ich, Quetzalia zu hassen.«
    »Tun Sie das?«
    »Was?« Francis’ Schatten wuchs, als er zum Feuer ging.
    »Hassen Sie Quetzalia?«
    »Nein.« Er drehte sich um und beobachtete seinen riesigen Zwilling an der Wand. »Wenn die Nerde jemals von diesem Planeten erfahren sollte – dann nicht von mir oder Burne.«
    Vaxcala trank ihren Tee und ließ eine Träne zurück. »Gut. Aber deshalb habe ich Sie nicht eingeladen.«
    Francis blickte mit gerunzelter Stirn nicht auf Vaxcala, sondern auf ihren Schatten.
    »Ich finde, daß wenigstens ein Bewohner von Tepec Ihnen Lebewohl sagen sollte, Dr. Lostwax. Sie sind für uns durch die Hölle gegangen, und deshalb…« Lächelnd ging sie zu ihm und ließ sanft ihre Hände in die seinen gleiten.
    Francis war gerührt, was er hinter einem bitteren Grinsen verbarg. »Sie sind mir keine Dankbarkeit schuldig, Vaxcala – nur Haß.« Er schüttelte ihre Hände mit einer Beiläufigkeit, als wolle er einer Toten einen Ring vom Finger ziehen. »Ich bin der wirkliche Massenmörder.«
    »Das werde ich bei der Bestattung klarstellen.«
    »Werden alle Ärzte mit einer Rede von der Hohenpriesterin geehrt?«
    »Nein. Aber Tez war ein ganz besonderer Mensch.«
    »Weil sie eines gewaltsamen Todes starb?«
    »Weil uns ihre Tragödie lehrt, daß Noctus – Noctus ist. Doch das ist keine Antwort auf all die Fragen.«
    »Aber sie bekam irrtümlich eine Überdosis.«
    »Ja – und solange wir kein Mittel haben, um solche Fehler zu vermeiden, werden wir wieder zum totalen Pazifismus zurückkehren. Wir werden unseren Fluß in seinem Bett lassen.«
    »Zusammen mit Tez’ Gebeinen. Die Verbrennung wird eine Farce sein, Vaxcala. Sie haben keine Leiche.«
    »Wir könnten ihre Instrumente verbrennen – ihre Skalpelle.«
    »Warum nicht mich?« fragte Francis und meinte es beinahe ernst.
    »Nein – das wäre gewalttätig.« Ihr Lächeln war schlau.
    »Tez’ Opfer – alle hatten Familie und Freunde.«
    »Ja. Aber Sie mißverstehen die Quetzalianer, wenn Sie glauben, daß sie Ihnen grollen.«
    »Also werden sie statt dessen mein Fleisch im Tolca-Tempel aufreißen. Das wird ihre Probleme auch nicht lösen. Die Ironie besteht darin, daß Tez an die Gewaltlosigkeit glaubte. Sie brauchte die Sakramente gar nicht.«
    »Es wird Sie überraschen zu erfahren, daß viele von uns an dieGewaltlosigkeit glauben.«
    »Ich meinte, daß…«
    »Sie meinen, daß Tez wunderbar war. Sie ist die Heldin von Quetzalia.«
    Plötzlich verließ ihn seine Müdigkeit. »Ich bin froh, daß Sie das wissen«, sagte er langsam.
    Wie so oft durchmaß Vaxcala ihr Heiligtum mit großen Schritten. Mit neun Schritten – das änderte sich nie. »Was wünschen Sie sich vom Leben, Francis Lostwax?«
    Er lächelte. »Daß

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