Der Wein des Frevels
brüchig, ihr Gewicht drückte eine dunkle Platte nach unten, deren anderes Ende hochstieg. Lautlos glitt sie hinab, unterwarf sich der Strömung, und die klebrigen Sünden Quetzalias rollten über sie hinweg wie ein Sargdeckel aus Ebenholz.
Benommen stand Francis vor der Öffnung des Cortexclavus -Tunnels und regte sich nicht. Er weinte wie ein Kind, mit tränenden Augen und Triefnase, und der Schleim verfestigte sich zu starren Wachsflecken auf seinem Gesicht. Er versuchte einen Ausweg zu finden, eine Tür – vielleicht sollte er Noctus schlucken, seinen Hals aufreißen, das Fett seines Herzens kochen lassen – aber da war keine Tür, nur die grotesken Auswüchse seiner Stiefel, die Schneehaufen, die Spielzeugkönigin – all das, was sein Blick berührte. Im Gegensatz zu seinen früheren Begegnungen mit dem Frevel der Gewalt würde diese eine niemals enden – das wußte Francis.
Die Darwin hatte sich in die Lüfte erhoben und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Schnee wurde in alle Richtungen geschleudert, bis der Rumpf sauber war. Burne saß auf dem Kontrolldeck und lächelte, als er sah, daß sein Plan so gut funktionierte. Der Zitterflug nach unten war beendet, und nun fiel er unter die Wolkendecke und raste über die öde schlafende Bläue, die sich auf dem Monitor zeigte.
Das Eis war geschmolzen, und der Fluß des Hasses stieg der Darwin entgegen, eine fließende Wunde, die das Land durchschnitt – aber weiter drüben herrschte immer noch der Winter.
Wenn man bedachte, daß sie so lange im Schnee gelegen hatte, benahm sich die Darwin großartig. Sie hatte keine größeren Reparaturen nötig, abgesehen von einer neuen Bullaugenscheibe, die jene ersetzen mußte, die der verdammte Käfer weggefressen hatte. Aber Burnes Gedanken galten nicht der Darwin, sondern seinem Beinstumpf.
Es hatte eine ganze Opoche gedauert, bis die Wunde verheilt war. Er hatte diese Tage damit verbracht, Antworten für alle Leute zu suchen, die ihn jemals Krüppel nennen sollten. Die Intellektuellen im Galileo-Institut würde er mit körperlichen Attacken bedrohen. Verkrüppelt? Wollt ihr einen Krüppel sehen? Wartet nur, bis ich eine Hammelkeule in eure Wirbelsäulen ramme. (Er macht eine plötzliche Bewegung, und die Intellektuellen laufen angstvoll davon.) Und was seine Nerdenpolizeiakademie-Kumpel betraf, da würde er sich Befriedigung verschaffen, indem er sie verblüffte. Verkrüppelt? Vergeßt nicht – hinter verschlossenen Türen klingt das Lachen wie Weinen. (Lächelnd gehen die Kumpels davon.)
Als er das Krankenbett verlassen hatte, lernte Burne, seine Krücken zu meistern. Die boshaften Anhängsel gaben ihm anfangs das Gefühl, ein Mutant zu sein, den die Natur nur deshalb am Leben erhielt, damit sie sich stets vor Augen führte, wie sinnlos es war, dreibeinige Wesen zu erschaffen. Der Phantomschmerz in seinem fehlenden Bein, an dem er grausam litt, komplizierte seine Bemühungen. Doch eines Nachmittags humpelte er durch die Hospitalkorridore, in der glücklichen Überzeugung, daß die Krücken seine Persönlichkeit noch vertieften.
Am selben Tag kursierte ein Gerücht in Tepec. Francis Lostwax hatte den letzten Neurovoren nach einer langen Verfolgungsjagd getötet. Doch bald darauf tauchte ein zweites Gerücht auf und ließ allen Jubel verstummen. Der Massenmörder war kein Neurovore gewesen, sondern eine Ärztin aus dem Chimec-Hospital, die von einer Überdosis Noctus in den Wahnsinn getrieben worden war. Als Francis mit einem dreißig Tage alten Bart nach Tepec getaumelt war und den dichten Menschenmassen gestanden hatte, sein Opfer sei Dr. Tez Yon gewesen, war Burne so bestürzt, daß sein fehlendes Bein sofort wieder zu schmerzen begann.
Burne hatte genug Gründe, um auf Francis wütend zu sein. Francis hatte gelogen – nicht nur, was die Quetzalianer betraf, die ihren General angeblich als rettenden Helden betrachteten (zum Teufel, die würden eher einem Kinderschänder ein Denkmal errichten), sondern auch, was den Zweck seiner Reise nach Cuz anging (wie hatte er sich jemals dazu durchringen können, sie zu töten?). Trotzdem war Burne nicht wütend auf Francis. Er bewunderte ihn. Immerhin, so überlegte er, war das Märchen vom quetzalianischen Helden genau das, was mein einbeiniges Ego damals brauchte. Und Lostwax hätte mir ja auch die Schuld an der ganzen Tez-Yon-Katastrophe geben können. Ich war es ja, der erklärt hatte, die Quetzalianer seien keine Menschen.
Und nun freute sich Burne auf die
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