Der weisse Neger Wumbaba
singen
die Lieder klingen
im Eichengrund.«
Noch horribler ist eigentlich nur jene Figur, die in den Phantasien von Phil Thomas erstand, der auf der Internet-Seite www.kissthis-guy.com berichtet, wie er zum ersten Mal Madonnas La Isla Bonita hörte. Das Lied geht so:
»Tropical the island breeze
All of nature wild and free
This is where I long to be
La Isla Bonita.«
Phil Thomas hörte:
»Just call me an island sleaze
All my body yours for free
This is who I long to be
Louise the Bone Eater.«
»Island sleaze« sollte man vielleicht mit »Inselschlampe«
übersetzen. Dass jemand sich eine »Inselschlampe« nennt und erklärt, sein Körper gehöre – wie ich das jetzt mal vorsichtshalber übersetze, es sind ja vielleicht noch Kinder im Raum – »Louise, der Knochenfresserin«, das scheint einem Horrortraum zu entstammen. Ich beneide Phil
Thomas nicht um seine Phantasie.
Es ist eine Welt von Gut und Böse, von der uns da
gesungen wird, wie in Grimms Märchen: die Welt von 17
Herrn Dabesin und Mutter Weinezehr, vom weißen Neger Wumbaba und dem unermesslich reichen Mijnher Ohrjens und von Louise, der Knochenfresserin, einer Vorläuferin Hannibal Lecters, die ihre Opfer vor Verzehr mit Näglein besteckt…
»Kinder brauchen Märchen«, schrieb Bruno Bettelheim.
Und Erwachsene brauchen sie anscheinend auch. Und
wenn sie die nicht bekommen, dann schaffen sie sich die Märchen selbst.
Sehen wir das nicht vor uns, im Eichengrund: Wie sie da tanzen, auch der tote Hannes und das Fräulein Leichnam sind dabei, umringt von Mutaten – vereint in froher Rund'?!
Und die Lieder klingen!
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Ein Rentier namens Schulze:
Wenn Kinder sich verhören
Die Welt des Kindes ist voller Rätsel, nehmen wir nur meinen eigenen Sohn, der von »Blatthosen« sprach, die manche Menschen trügen, »so hohe Blatthosen« – nach längerem Befragen stellte sich heraus, dass er »Plateau-sohlen« meinte.
Oder zitieren wir Herrn B., der seine Jugend in Berlin-Neukölln verbrachte und mir nun aus Moureze in
Frankreich schrieb, er sei als Kind oft zur Wäschemangel geschickt worden, die sich in den hinteren Räumen einer Drogerie befand. Der Drogist, ein kleiner Mann im braunen Kittel, verkaufte auch Waschpulver und Seife, weshalb es B. nicht verwunderte, dass er sich von seinen Kunden stets mit freundlichem »Auf Wiederschaum« verabschiedete, nicht mit »Auf Wiedersehen«, wie andere Berliner Laden-besitzer. Und hier, die Geschichte von Frau B. aus Brüssel:
»Ich war ein sehr kleines Kind – vielleicht drei bis vier Jahre – und war in meinem Zimmer; die Tür zum Flur stand offen. Mein Vater kam nach Hause und berichtete meiner Mutter leise, sehr aufgeregt: ›Fritz (der beste Freund der Familie) bekommt ein unehrliches Kind!‹ Ich war tief erschüttert, traute mich nicht zu fragen und war fortan jahrelang verunsichert, wie ein Kind schon
›unehrlich‹ auf die Welt kommen könnte. Welche Tragik!«
Jahrelang sei sie dem Kind mit Scheu und Angst
begegnet, bis ihr irgendwann klar geworden sei, dass es unehelich war.
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Das ist wohl lange her. Heute ist Unehelichkeit eher die Regel als Ehelichkeit. Und jeder, der Kinder hat, weiß mit welch' schamlosen Flüchen sie eines Tages plötzlich aus dem Kindergarten heimkehren. Aber es gibt doch Kinder, die – was Flüche und Beschimpfungen angeht – auch jetzt noch in der holden Welt des Missverstehens leben. Die Tochter von Frau L. in Tübingen beispielsweise, die sich bei der Mutter beschwerte, einer habe den anderen im Hort einen »Uhrensohn« genannnt, »so ein Quatsch, eine Uhr kann doch keinen Sohn haben«.
Frau L. aus Köln berichtet zu diesem Thema, ihr Mann sei eines Tages vom Sohn Fabian als »Hosensohl« bezeichnet worden, und erst die sechsjährige Tochter habe, leicht gelangweilt, für Aufklärung sorgen können: Der Bruder meine natürlich, er sei ein »Hurensohn«.
Kinder sind nun mal die größten Missversteher von
Texten aller Art – und warum? Weil sie erstens die Welt nicht so verstehen können, wie die Welt verstanden werden will, es fehlen ihnen einfach die Kenntnisse dazu. Und weil sie aber zweitens das Missverstandene trotz seiner kompletten Sinnlosigkeit hinnehmen, interpretieren, ihm einen Sinn zu geben suchen – was manchmal gelingt, manchmal nicht.
Das ist oft wahrhaft schön, wie der Brief von Frau W. aus Taufkirchen zeigt, die vor langer Zeit als Kind über den Dorffriedhof spazierte und auf einem Grabstein las, dort liege »Rentier
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