Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
doch ein ganz anderer Mensch als Poulain.«
Geschmeichelt legte Walther den rechten Arm um Nizhonis Schultern.
»Gertrude liebt ihn! Deswegen kann ich ihn doch nicht erschießen.«
»Ein Komantsche würde es tun«, erklärte Nizhoni resolut.
»Ich bin aber kein Komantsche. Außerdem gibt es eine Frau, die besser zu mir und den Kindern passt als Gertrude.«
»Wer?« Nizhoni begriff nicht, dass sie gemeint war, und hatte noch mehr Angst, Walther würde eine Frau ins Haus bringen, die in ihr nur eine Sklavin sah.
»Du! Du warst immerhin Giselas beste Freundin und …« Walther brach ab, drehte sie so herum, dass sie ihm in die Augen blicken musste, und sah sie mit einem hilflosen Ausdruck an. »Es gibt keine, die besser zu mir passt als du! Du müsstest allerdings die christliche Religion annehmen, aber du darfst gerne auch weiterhin an die Geister deines Volkes glauben. Du …«
Der Rest ging an Nizhoni vorbei. Ihr schwirrte der Kopf, und sie versuchte, die Gedanken einzufangen, die wie Schmetterlinge umherflatterten. Es konnte nicht sein, dachte sie. Fahles Haar wollte sie als Weib? Aber er war ein weißer Mann und sie eine Diné!
Als sie dies einwandte, schüttelte er den Kopf. »Sollte es auch nur ein Einziger wagen, dich zu beleidigen, werde ich ihn zur Rechenschaft ziehen.«
Nizhoni spürte, dass es ihm ernst damit war. Fahles Haar hatte entschieden, dass sie sein Weib werden sollte, und würde keinen Widerspruch gelten lassen. Er war ein großer Häuptling seines Volkes, und es war eine hohe Ehre für jede Frau, wenn er sie aufforderte, sein Weib zu werden. Einen Augenblick lang schrak sie vor der Verantwortung zurück, die dieser Schritt mit sich brachte. Dann aber dachte sie an Gisela und daran, dass sie ihr versprochen hatte, für ihre Söhne zu sorgen. Das konnte sie nicht tun, wenn ein anderes Weib auf die Farm kam. Dieses würde die Kinder nach seinem eigenen Willen erziehen und sie selbst vielleicht ebenso schlecht behandeln, wie es To’sa-woonit bei den Komantschen getan hatte.
»Ja, Herr!«, sagte sie leise. »Ich werde dein Weib.«
Bei ihren Worten erschien ein nachsichtiges Lächeln auf Walthers Gesicht. »Wenn wir heiraten, darfst du mich nicht mehr Herr nennen, sondern musst Walther zu mir sagen.«
»Das werde ich tun, Walther!« Auch Nizhoni lächelte nun. Für sie würde er immer Fahles Haar bleiben, ebenso wie sie Josef für sich Puma nennen würde und den kleinen Waldemar Wolf.
Walther schloss sie in die Arme, und sie spürte, dass es ihr gefiel. Gisela würde sich freuen, dachte sie, dann aber schmiegte sie sich an ihn und ließ es zu, dass er sie küsste. Am Himmel zog die Abenddämmerung auf, und über ihnen leuchtete einsam der weiße Stern, der seinen Brüdern jeden Abend vorausging. Doch einsam, das spürte Nizhoni, würde sie von diesem Augenblick an nie mehr sein.
Historischer Überblick
A nfang des neunzehnten Jahrhunderts war Nordamerika ein noch zu großen Teilen unerforschter Kontinent. Dies hinderte die europäischen Mächte jedoch nicht daran, ihre Ansprüche auf möglichst große Teile dieser Landmasse zu erheben und diese mit Verträgen gegenseitig abzusichern. Großbritannien und die Hudson Bay Company forderten das heutige Kanada für sich, Frankreich das Mississippi-Gebiet und Spanien neben Mittelamerika auch den gesamten Südwesten der späteren USA . An einigen Stellen gab es bereits Siedlungen, doch in großen Teilen des Landes stellten kleine Militärstützpunkte die Ansprüche der einzelnen Reiche sicher.
Die Vereinigten Staaten von Amerika bestanden zu diesem Zeitpunkt nur aus einem Landstreifen an der Atlantikküste, der erst allmählich in Richtung Mississippi erweitert wurde. Dies änderte sich, als Kaiser Napoleon den in seinen Augen militärisch gegen England nicht zu haltenden Gebietsanspruch von der kanadischen Grenze bis zum Golf von Mexiko an die Vereinigten Staaten verkaufte. Damit verdoppelte sich deren Staatsgebiet, und es grenzte nun an die spanische Kolonie Neuspanien.
Zu den vorgeschobenen Gebieten Neuspaniens gehörte die Provinz Tejas, in der es nur wenige Siedlungen, dafür aber sehr viele feindliche Indianer gab. Um Tejas zu besiedeln, übertrug die spanische Kolonialverwaltung dem Nordamerikaner Moses Austin das Recht, dreihundert katholische Familien aus den Vereinigten Staaten am Rio Brazos anzusiedeln.
Bevor es jedoch dazu kam, rebellierte Mexiko gegen die Kolonialmacht und erreichte seine Unabhängigkeit. Die neue mexikanische
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