Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
vertraut hat. Ein Americano hätte das nicht für uns getan.«
»Für mich war es eine Selbstverständlichkeit!« Walther wurde das Lob allmählich peinlich, denn seine mexikanischen Nachbarn taten fast so, als wäre er ein Heiliger.
Zu seiner Erleichterung kam ihm Julio zu Hilfe. »Wir sollten hier die Nacht über lagern und morgen in aller Frühe aufbrechen, um den Leuten bei Jemelins Hacienda klarzumachen, dass dies hier Colonel Fitchners Land ist.«
Jetzt fängt der auch an, mich Fitchner statt Fichtner zu nennen, schoss es Walther durch den Kopf. Er ließ es jedoch gut sein und stieg von seinem Mustang. Die anderen taten es ihm nach. Schon bald prasselte ein Lagerfeuer. Die Vaqueros steckten Fleischstücke an im Wald abgeschnittene Stecken und hielten diese ins Feuer. Zu trinken gab es Wasser, doch damit waren alle zufrieden.
Später, als die ersten Sterne am Himmel strahlten, sang Quique mit samtiger Stimme ein Liebeslied, das Walther seltsam berührte. Er hatte Gisela geliebt, sogar mehr als sein Leben. War er nun dazu verdammt, in Zukunft mit einer Frau zu verbringen, mit der ihn nicht mehr verband als die Tatsache, dass er eine Mutter für seine Söhne brauchte und jemanden, der sich um Haus, Hof und den Gemüsegarten kümmerte?
Er kämpfte gegen die Traurigkeit an, die in ihm aufzusteigen drohte, und richtete seine Gedanken auf die Fremden, auf die sie am nächsten Tag treffen würden. Sam Houstons Warnung kam ihm in den Sinn, Nicodemus Spencer und Jakob Schüdle könnten versuchen, sich zu Unrecht Land anzueignen. In dieser Stunde schwor er sich, dass die beiden Männer keinen Fußbreit Boden im Gamuzana-Gebiet erhalten würden. Mit diesem Entschluss legte er sich schließlich nieder und wachte auch damit auf.
7.
D er Morgen brachte eine Überraschung, denn Thierry erschien mit allen Nachbarn, die zusammen mit ihm und Walther unter Sam Houston gekämpft hatten. Nur Albert Poulain fehlte. Ihn hatten die Freunde nicht auf seiner Farm angetroffen.
»Als wir erfuhren, dass du mit deinen Männern losgeritten bist, um ein paar wilde Siedler zu vertreiben, dachten wir, du könntest ein wenig Hilfe gebrauchen«, erklärte Thierry grinsend.
»Wir sind die ganze Nacht durchgeritten, um nicht zu spät zu der Party zu kommen«, setzte Ean O’Corra fröhlich hinzu.
»Bei Gott, das ist ja eine halbe Armee, und das für ganze sechs Männer!« Walther begrüßte die Männer lachend und war sehr froh, denn zum ersten Mal standen die Tejanos aus dem südlichen Teil und die Siedler aus dem French Settlement offen auf einer Seite. Zwar gab es zunächst noch ein vorsichtiges Abtasten, doch als Thierry und die anderen hörten, dass ihre Landrechte ebenso unverbrüchlich eingetragen worden waren wie die der Mexikaner, begriffen alle, dass sie als Nachbarn zusammenhalten mussten.
»Weißt du, Walther, es hätte mich auch geärgert, wenn unsere südlichen Siedler ihr Land verloren hätten, nur weil es Texaner mexikanischer Abstammung sind«, erklärte Thierry, als sie auf die Jemelin-Hacienda zuritten. »So etwas wirft kein gutes Licht auf die Behörden, und man müsste Angst haben, dass es einem irgendwann genauso ergeht.«
»Das hier ist unser Land«, antwortete Walther nachdenklich. »Wir haben die Erde aufgebrochen und erlebt, wie der erste Getreidehalm gewachsen ist und das erste Kalb geboren wurde. Solange wir zusammenhalten, wird niemand uns dieses Land wegnehmen.«
»Nein, da hast du recht«, sagte Thierry und deutete nach vorn. »Wir sind gleich da!«
Auf Walthers Zeichen hin zügelte die Gruppe ihre Pferde. Er selbst zog sein Fernrohr aus der Satteltasche und setzte es ans Auge, um sich einen Überblick zu verschaffen. Es waren tatsächlich sechs Männer. Vier von ihnen trugen die derbe Kleidung von Landarbeitern. Sie waren dabei, eine Hütte aus Stangen und Brettern zu errichten. Walther erinnerte sich, dass in einigen Teilen der Vereinigten Staaten ein Gesetz galt, dem zufolge eine auf freiem Land errichtete Hütte den Besitzanspruch dokumentierte. Dies hier war jedoch kein freies Land, und er wollte niemanden hier haben, der ungerufen gekommen war.
Nun richtete er das Fernrohr auf die beiden anderen Männer. Sie trugen braune Röcke, lange Hosen und Hemden mit Schleife sowie Hüte nach städtischer Mode. Einer hielt einen Schreibblock in der Hand und notierte etwas, der andere … Walther zuckte zusammen. Es war Spencer! Die Wut packte ihn, und im ersten Augenblick war er bereit, den Mann einfach
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