Der Wettlauf zum Suedpol
Adrien de Gerlache zu jenem Menschenschlag, dessen Vertretern es nicht reichte, ein Leben lang nur bei der Küstenwache Dienst zu tun. Er hoffte auf Ruhm und Ehre als Polarforscher. Vom Königreich Belgien und dessen Herrscher Leopold II. konnte er keine finanzielle Unterstützung für eine Antarktisexpedition erwarten. Doch ausgerechnet ihm als blutigem Neuling gelang es, genügend Kapital aufzutreiben, um eine Expedition in die Antarktis finanzieren zu können. Mit einer bunt zusammengewürfelten, abenteuerlustigen Mannschaft aus Belgiern, Rumänen, Polen, Norwegern und US-Amerikanern stach er im August 1897 von Antwerpen aus in See. Der Zweite Offizier an Bord hieß – Roald Amundsen.
Der Norweger war wie sein einstiger Spielgefährte Borchgrevink einer jener Enthusiasten, welche als Jugendliche durch Reiseberichte von Polarforschern für das Thema begeistert wurden. »Auf unerklärliche Weise wünschte ich mir sehnlichst, eines Tages auch so etwas zu erleben«, schrieb er später. »Vielleicht handelte es sich um jugendlichen Idealismus – der ja oft die Form eines Martyriums annimmt –, als ich mich selbst als Held im Kampf bei einer Nordpol-Expedition sah. Auch ich wollte für eine Sache leiden, aber nicht in der heißen Wüste auf dem Weg nach Jerusalem, sondern im frostigen Norden.« 1872 in eine Familie von Seeleuten und Schiffseignern hineingeboren, hatte er sich im oft monatelang
tief verschneiten Norwegen früh mit dem eisigen Element vertraut gemacht. Schon als Kleinkind wurde er auf Skier gestellt und unternahm später nach dem Vorbild des Grönlandbezwingers Nansen ausgedehnte Skitouren durch das menschenleere norwegische Bergland, wobei er einmal fast erfroren wäre.
Abb 6
Bereits früh wurde Roald Amundsens (hier ein Porträt von ca. 1880/81) Begeisterung für die Polarforschung entfacht.
Den Schulabschluss schaffte er nur mit Ach und Krach. Seiner Mutter zuliebe – der Vater war früh gestorben – begann Amundsen danach ein Medizinstudium an der Universität der norwegischen Hauptstadt, die damals noch Kristiania hieß. Aber auch an der Uni war er oft nur halb bei der Sache. Höchstens interessierten ihn Vorträge wie der von Eivind Astrup, der an einer US-amerikanischen Grönlandexpedition teilgenommen hatte und über die Vorzüge von Eskimohunden während solcher Reisen referierte. Als schließlich 1893 auch noch Amundsens Mutter starb, war er endlich frei, das zu tun, was er wollte. Er hängte sein Studium umgehend an den Nagel und heuerte auf verschiedenen Robbenfängerschiffen als Matrose an. Zwei Jahre später erwarb er das Steuermannspatent, um als zukünftiger Forscher sein eigenes Schiff führen zu können.
Da kam es im Juli 1896 im Hafen von Sandefjord zu einer schicksalhaften Begegnung. Denn genau dort, wo Amundsens Schiff nach einer Fangfahrt aus arktischen Gewässern zurückkehrte, ließ de Gerlache einen ausgedienten Robbenfänger für seine Antarktisexpedition umbauen. Als Amundsen von de Gerlaches Plänen hörte, war er sofort Feuer und Flamme und bot sich als Expeditionsmitglied an. Der Belgier akzeptierte – nicht nur, weil Amundsen vorschlug, ohne Heuer zu arbeiten, sondern auch, weil Männer mit seemännischem Hintergrund und Polarerfahrung in seinem Team rar gesät waren.
Von Anfang an freilich stand die Reise des Belgica getauften Schiffs unter keinem glücklichen Stern. Offiziere und Matrosen konnten sich untereinander kaum verständigen. Schon auf der Hinreise drohte das Schiff mehrfach zu kentern, Stürme und Riffe beschädigten es schwer, zuletzt wurde sogar ein Matrose über Bord gespült. Allen Unbilden zum Trotz traf die Belgica im Januar 1898 vor der Küste der Antarktis ein, und die Mannschaft begann mit ozeanografischen Messungen. Mehrfach gingen Expeditionsteilnehmer auch an Land und führten geologische Untersuchungen durch. Auch Amundsen betrat am 26. Januar erstmals den Boden einer dem Festland vorgelagerten antarktischen Insel, probierte seine Skier aus und unternahm ein paar Tage darauf mit dem Kommandanten und drei anderen Gefährten eine mehrtägige Schlittentour auf Brabant Island. Am 31. Januar übernachteten die ersten Menschen in einem Zelt auf antarktischem Boden. »Als die heiße Erbsensuppe vor uns steht, sind Wind und Schnee vergessen«, trug ein zufriedener Amundsen in sein Tagebuch ein. »In einem Königspalast könnte man nicht glücklicher sein.«
Doch de Gerlache wollte mehr: Seine ehrgeizigen Pläne sahen vor, nicht nur irgendwelche
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