Der Wettlauf zum Suedpol
Gesteinsproben mit nach Hause zu bringen, sondern als Erster in der unwirtlichen Einöde der Antarktis zu überwintern. Dafür waren eigentlich nur vier Männer vorgesehen, die an einer geeigneten Stelle auf dem Festland in einer wetterfesten Hütte leben und wissenschaftlich arbeiten sollten. Das Schiff mit der restlichen Mannschaft sollte unterdessen nach Australien zurückkehren und die Forscher später wieder abholen. Bevor dieses Vorhaben jedoch in die Tat umgesetzt werden konnte, hatte das Packeis die Belgica schon umfasst, und das Schiff saß fest. »Leider zeigen die Wissenschaftler offen ihre Furcht«, notierte der tatendurstige Amundsen verstimmt. »Weshalb, so frage ich, sind wir hierhergekommen? Wollten wir nicht die unbekannten Regionen erforschen? Das kann man nicht, wenn man außerhalb des Eises liegen bleibt.« Nun war die gesamte achtzehnköpfige Besatzung gezwungen, den antarktischen Winter, der wegen der Lage auf der Südhalbkugel in unsere Sommermonate fällt, auf dem eingefrorenen ehemaligen Robbenfänger zu verbringen. Dies bedeutete für die Männer nicht nur, mit völlig unzureichender Ausrüstung Temperaturen weit unterhalb des Gefrierpunkts aushalten zu müssen. Es hieß auch, für mehrere Monate in vollkommener Dunkelheit zu leben, da die Sonne über diesem Teil der Antarktis von Mitte Mai bis Ende Juli überhaupt nicht mehr aufging. Zudem zehrte die Ungewissheit an den Nerven: Könnte man dem Eis jemals wieder entrinnen? Würde die altersschwache Belgica womöglich von den Eismassen zerdrückt werden wie eine Pappschachtel? Angesichts der widrigen Umstände verloren mehrere Matrosen den Verstand, andere raffte der Skorbut dahin.
Frühe Forschungsreisen in die Antarktis. Erst ein Dreivierteljahrhundert nach seiner Entdeckung setzte der erste Mensch seinen Fuß auf den Boden des eisigen Kontinents.
Abb 14
In klirrender Kälte: Eigentlich hätte sich die Belgica für die Wintermonate nach Australien zurückziehen sollen, doch dann wurden Schiff und Besatzung vom Packeis überrascht.
Skorbut war seit jeher die Geißel der Seefahrer, die oft längere Zeit von der Zufuhr frischer Lebensmittel abgeschnitten waren und nur von konservierten Nahrungsmitteln leben konnten. Heute weiß man, dass die Krankheit durch akuten Vitamin-C-Mangel verursacht wird, doch damals war das segensreiche Wirken von Vitaminen noch völlig unbekannt. Der Krankheitsverlauf zeigte sich zunächst an geschwollenen Gliedern und Zahnfleischbluten, dann fielen Zähne ganz aus, die körperliche Leistungsfähigkeit nahm rapide ab, es kam zu geistiger Verwirrung und Depressionen, ehe schließlich der Tod eintrat. Zwar war seit Mitte des
18. Jahrhunderts bekannt, dass der Verzehr von Zitrusfrüchten gegen die tückische Krankheit half. Doch weil man nicht wusste, welche Inhaltsstoffe diese positiven Wirkungen hervorriefen, wählte man oftmals die falschen Früchte oder benutzte eine falsche Dosierung. So enthielt auch die auf der Belgica mitgeführte Limonade viel zu wenig Vitamin C, um tatsächlich als Antiskorbutmittel wirken zu können. Den schließlich vom Schiffsarzt Dr. Frederick A. Cook vorgeschlagenen Verzehr halbrohen Robben- oder Pinguinfleischs, den er während einer Grönlandexpedition bei den dortigen Ureinwohnern kennengelernt hatte, lehnten die meisten Matrosen und auch Expeditionsleiter de Gerlache selbst ab. Erst als Cook den rettenden Einfall hatte, das Fleisch nicht mehr als Nahrungsmittel, sondern als Medizin zu verabreichen, besserte sich der Zustand seiner Patienten rasch.
Wenn sich nun auch kein Besatzungsmitglied mehr in Lebensgefahr befand, gab der Gesundheitszustand der zumeist vollkommen ausgemergelten Männer weiteren Anlass zur Besorgnis. Viele schienen um Jahre gealtert, auch Amundsen hatte über Nacht graue Haare bekommen. Er hatte ebenfalls an Skorbut gelitten, war durch die Frischfleischkur jedoch rasch wieder auf die Beine gekommen. Dass gerade Cook und Amundsen die schwere Zeit an besten überstanden, lag jedoch auch daran, dass sie im Gegensatz zum Rest der Besatzung keinen trüben Gedanken nachhingen. Stattdessen waren beide ständig damit beschäftigt, ihre vielfach mangelhafte Ausrüstung den polaren Witterungsbedingungen anzupassen. Ihr »Meisterstück« war ein aerodynamisch geformtes Zelt, das sich leicht aufbauen ließ und Wind und Wetter bestmöglich trotzte. Aber auch über Fragen der Ernährung, Bekleidung und übrigen Ausrüstung machten sie sich Gedanken und führten
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