Der Widerstand: Demi-Monde: Welt außer Kontrolle 2 (German Edition)
um den großen Kamin saßen, drehten sich um und nahmen ihren Besucher in Augenschein. Ihre säuerlichen Gesichter offenbarten, was der Präsident Samuel Williams, seine Gattin und sein Stabschef, Nathaniel Armstrong, von Professor Septimus Bole hielten. Die Abneigung war gegenseitig. In Boles Augen strahlte jeder von ihnen eine Aura von Unantastbarkeit und moralischer Gewissheit aus, die er anstößig fand. Seit Williams es geschafft hatte, das Weiße Haus dem festen Griff des Kenton-Clans abspenstig zu machen – dafür konnten sie sich bei den 12/12-Gräueltaten bedanken –, hielten er und seine Protegés sich für Hoffnungsträger, die dem amerikanischen Volk das Heil gebracht hatten. Diese irregeleiteten Spinner hatten sich in den Kopf gesetzt, die USA zu einem gerechteren und weniger geteilten Land zu machen, wo die Starken die Zerbrechlichen beschützten und jeder bereit war, dem anderen zu helfen. Sie trugen ihre politische Frömmigkeit wie einen Heiligenschein, doch Septimus Bole kannte nur ein Wort, das seine Gefühle für ihre bescheuerten Ambitionen adäquat beschrieb: Mumpitz!
Ein oder zwei Sekunden musterte Bole den Präsidenten, der seinen stummen Blick erwiderte. Er erschien ihm wie ein missgestimmter Anwalt, dessen Schwäche sich daran zeigte, wie er sich an die Hand seiner Frau Mary klammerte, einer übertrieben dünnen und chronisch depressiven Person, die zu hysterischen Anfällen neigte. Vor der Gestalt, die sich schützend hinter ihr aufgebaut hatte, dem ungemein fetten und ungemein widerlichen Nathaniel Armstrong, wirkte sie beinahe zwergenhaft.
Es war der Präsident, der das Eis brach. »Ah, Professor Bole, wie nett von Ihnen, dass Sie uns helfen wollen.« Er kam quer durch den Raum und reichte Bole die Hand, die dieser nur widerwillig schüttelte. Zerbrechliche zu berühren fand er extrem ekelerregend. Trotz ihrer Vorliebe für Parfüm und Kölnisch Wasser stanken sie wie die Pest. »Ich glaube, meine anderen Gäste kennen Sie bereits.« Mary Williams und Nathaniel Armstrong begrüßten ihn mit einem widerwilligen Kopfnicken. Bole machte ihr Mangel an Höflichkeit nichts aus. Er war erleichtert, dass er ihnen nicht die Hand geben musste. »Bitte, Professor, nehmen Sie doch Platz.« Der Präsident zeigte auf einen einzeln stehenden Stuhl vor einem langen schmalen Tisch. Die anderen setzten sich hastig auf die drei Stühle auf der anderen Seite. Die Anordnung deutete auf ein durchaus konfrontatives Treffen hin, mit Bole auf der einen Seite und seinen drei Gesprächspartnern auf der anderen.
Wunderbar.
Als alle Platz genommen hatten, begann der Präsident: »Wie Sie wissen, Professor Bole, ist meine Tochter von ihrem unglücklichen Aufenthalt in der Demi-Monde vor zwei Wochen zurückgekehrt. Mittlerweile ist sie im Walter Reed Hospital einer gründlichen Untersuchung unterzogen worden. Die Ärzte sind mit ihrer körperlichen Verfassung sehr zufrieden.«
»Es freut mich, das zu hören, Mr President«, sagte Bole lächelnd.
»Körperlich ist sie gesund, doch scheint sie an einem posttraumatischen Stresssyndrom zu leiden.«
»Wie manifestiert sich das?«
»Mit einer umfassenden Amnesie.«
Bole zuckte die Achseln. »Das ist nicht ungewöhnlich, Mr President. Unserer Erfahrung nach leiden etwa dreißig Prozent der neoFights, die aus der Demi-Monde zurückkehren, an irgendeiner Art von Amnesie. Sie empfinden das viszerale Ambiente dieser Welt als so überwältigend, dass ihr Bewusstsein eine defensive Haltung einnimmt und unangenehme Erinnerungen einfach ausblendet. Wie auch immer, in den meisten Fällen ist dieser partielle Gedächtnisverlust nur vorübergehender Natur.«
»Es handelt sich nicht um einen partiellen Gedächtnisverlust, Professor Bole«, wandte Mary Williams ein. »Norma kann sich so gut wie an nichts erinnern. Sie erkennt weder ihre Freunde noch ihre Familie. Sie besitzt keine Erinnerung an das Weiße Haus oder an ihre Schule. Nicht einmal an ihren Hund.« Die First Lady hielt inne und tupfte sich eine Träne aus dem Auge. »Sogar ihr Akzent hat sich verändert. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass sie ein völlig anderer Mensch ist.«
Bole versuchte, Mitgefühl vorzutäuschen. »Das allerdings scheint mir ernster zu sein.«
Der Präsident ergriff die Hand seiner Frau und drückte sie tröstend. »Bestimmt können Sie sich vorstellen, wie anstrengend das Ganze für meine Familie war, Professor Bole. Da Sie der Experte sind, was die Demi-Monde angeht,
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