Der Willy ist weg
Spritzer von dem hoch konzentrierten Erfrischungsgetränk vertragen, das bei feierlichen Anlässen im Fuckers' Place unter der verharmlosenden Bezeichnung >Bowle< kredenzt wird.
Unterwegs kamen mir Charly und Hoho entgegen, Arm in Arm. Sie hätten ein Fußballtor ausgefüllt, von Pfosten links zu Pfosten rechts und oben bis knapp unter die Querlatte. So groß waren sie. Und so breit.
Hoho war der größte und (Vorsicht jetzt, er kann lesen, auch wenn sein Unterkiefer dabei mitarbeitet wie bei einem wiederkäuenden Kamel), schlichteste, ja, unter den Stormfuckers, und Charly war ihr Präsident. Charly hieß wirklich so, von Geburt an, doch Hohos eigentlicher Name war Bernd-Dieter Lüthinghaus. Es braucht allerdings keine sehr lange oder besonders intime Kenntnis seiner Person, um zumindest einen Ansatz von einer Ahnung davon zu erhaschen, wie er wohl an seinen Spitznamen gekommen sein mag.
»Hoho«, sagte Hoho, »Kristof! Wa-was hassn duda mit deiner Visage annangestellt?«
Ich sagte: »Du solltest erst mal meine Klötze sehen.«
Während man bei der Beschreibung von Hohos alles überragender Silhouette nicht so recht um das Attribut >fleischig< herumkäme, wirkte Charly, vor allem im direkten, eng umschlungenen Vergleich, wie aus einem ganz anderen, härteren Material gemacht. Hammer und Meißel schienen bei der Konturierung seiner Gestalt eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Hammer, Meißel und eine Menge sehr, sehr feinen Schmirgels.
Zu einer seiner vielen, für die Führung eines Rockerclubs nötigen Eigenschaften zählt auch die, zumindest zeitweise einen Hauch von Klarheit in jeden denkbaren Zustand von Rausch zwingen zu können. Nach nur einem prüfenden Blick auf mich ließ er von Hoho ab, reichte mir sein Glas und stellte fest: »Das heißt, du bist ohne die Kleine zurück.«
»Sie war nicht zu begeistern«, erklärte ich, »und dann mischten sich noch zwei chinesische Grobiane ein, die glaubten, Besitzansprüche auf die junge Dame geltend machen zu können. Ihre Argumente waren doppelt so gut wie meine, um es knapp zu formulieren.« Nachdem ich mir das von der Seele geredet hatte, nahm ich ordentlich einen zur Brust, womit ich mir einen Hustenanfall von nicht mehr als höchstens drei oder vier Minuten einhandelte.
»Ich meine«, presste ich zwischendurch mannhaft hervor, »letztes Jahr wäre die Bowle stärker gewesen.«
»Und was war hier los?«, fragte ich, einen vorsichtig zwischen wackligen Zähnen gelutschten Löffel kalten Kartoffelbreis mit Soße und einen weiteren, etwas zurückhaltenderen Schluck Bowle später.
»Bisschen 'n Terz mittie Eierköppe«, antwortete Hoho etwas leichthin. »Sie ...«, doch dann brach er ab, fasste sich an die Nasenwurzel, wandte den Kopf zur Seite und bat Charly, an seiner Stelle weiterzuerzählen.
Ajeh, dachte ich. Na, wer hingeht und eine Gruppe fast kahl geschorener Männer, auch noch im deutschsprachigen Raum, >Ironheads< tauft, ist für alles weitere nun wirklich selbst verantwortlich. Die Eierköppe, also. Einheitsfrisierte Nazi-Rocker mit einer Schwäche für alles Militärische. Fuhren fast alle schwarze BMWs. Viele mit Seitenwagen. In schwarzen Ledermänteln, mit Stahlhelmen auf dem Kopf. Mir kamen sie immer vor wie Leute, die eine 40er-Jahre-Wochenschau zuviel gesehen haben. Auf dem Elefantentreffen hatten sie alle zusammen in einem riesigen Armeezelt gehaust, von morgens bis abends Marschmusik gedudelt und sich aus NATONotrationen verpflegt. Die Fuckers ignorierten sie so gut es ging als Spinner, doch aus der linken, der Schwulen-und Drogenszene kamen Berichte über nächtliche Überfälle von zunehmender Brutalität. Bisher hatten sie nicht versucht, sich in die Stormfucker'schen Tätigkeitsbereiche hineinzudrängen, doch sollten sie es tun, war ein Krieg vorprogrammiert.
»Und?«, fragte ich. Noch, fiel mir auf, hatte ich längst nicht alle der Jungs zu Gesicht bekommen.
»Willy«, sagte Charly, als sage das alles. Was es in gewisser Weise tat. »Montag, oder wann das war, kam er spät nach Hause, im Schlepptau zwei Eierköppe.« Er seufzte. »Und du weißt ja, wie Willy ist, wenn er einen Kleinen auf hat.«
Ich nickte. Willy, so sagt man, ist vor gar nix fies. Wenn er auf Streifzug geht, bringt er regelmäßig - wie soll ich es ausdrücken? - Wesen mit ins Haus zurück, wie man es sonst nur von Katzen kennt. Häufig in hilflosem Zustand, oft in gleichem Maße abstoßend wie bemitleidenswert, meist jedoch, eigentlich fast immer, auf die
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