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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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dicken Mercedes praktisch ungebremst gegen einen Brückenpfeiler schmetterte. Er und seine Frau waren sofort tot.
    Willy hing damals schon seit längerer Zeit als so eine Art ewiger Volontär im Dunstkreis der Stormfuckers herum. So einer, der immer davon spricht, auch den Führerschein machen und sich dann diese oder jene Maschine kaufen zu wollen, und doch . Einer von denen, bei dem man gleich spürte, dass es dabei bleiben würde. Beim Sprechen davon. Gleichzeitig war er sympathisch, ging keinem auf den Sack und war sich nie zu schade, Zigaretten zu verteilen und Bier holen zu gehen. Nenn es Faktotum, nenn es Maskottchen, nenn es Hanger-on, Tatsache ist, praktisch jede Gang hat so einen von der Sorte.
    Dann, von heute auf morgen, wurde die Heckhoff'sche Ex-Stahlbaron-Villa, mit ihrer Vielzahl von Schlafzimmern, Gästezimmern, Gesindekammern unterm Dach, einer Empfangshalle, einem riesigen Esszimmer, mit Dreifach-Garage und Pool im parkähnlichen Garten und einer Adresse, wie es sie nobler kaum gibt: >Johann-Wolfgang-von-Goethe-Allee<, von Willy ganz alleine bewohnt. Na ja, nicht für lange, soviel ist mal sicher. Nicht für lange allein, meine ich.
    Es sei tragisch, dass ich nicht dabei gewesen sei, musste ich mir noch Tage später immer und immer wieder anhören. Im offenen Fenster zu hängen und abwechselnd die Bullen anzufeuern und die Eierköppe zu verarschen sei das beste gewesen, das geilste, das größte überhaupt . Irgendwann gingen jedem von ihnen die Superlative aus, doch worüber sich alle einig waren, war, noch nie in ihrem ganzen Leben so gelacht zu haben.
    Ich lutschte weiter an meinem Kartoffelbrei herum, schlürfte vom >Weißen Stock<, wie die Bowle unter der Hand auch genannt wurde, während Charly und Hoho davonzogen, neue Stühle aus dem Keller zu holen und eine ordentliche Meute für eine weitere Runde >Reise nach Jerusalem< zusammenzutreiben. Es war das offizielle und traditionelle Stormfucker'sche Weihnachtsspiel. Die frische Bestuhlung wurde im Esszimmer rings um den großen Tisch aufgebaut. >The New< brachten einen weiteren Reigen 70er Jahre Cover-Rocks zu einem dröhnenden Ende, und das trotz der unermüdlichen, im Takt skandierten >Zugabe<-Forderungen ihres einen, treuen, sie immer und überall hin begleitenden Fans.
    Zottelmähnige, stark bis sehr stark angetrunkene Mitglieder einer zumindest semi-kriminellen Motorradgang passierten nacheinander die Küche auf dem Weg zu einem bis in die Annalen der Geschichte des Mannes zurückreichenden Ritual: dem wettkämpferischen Kräftemessen.
    Jeder einzelne klopfte mir auf die Schulter.
    Jeder sagte irgendetwas Schmeichelhaftes zu meinem dicken Auge.
    Jeder murmelte etwas Mitfühlendes zu meinen anderen Schwellungen.
    Jeder bedauerte meine Abwesenheit am gestrigen Abend.
    Jeder meinte, dabei habe ich aber echt gefehlt.
    Jeder versicherte mir seine Hilfe, sollte ich es den Chinesen heimzahlen wollen.
    Es waren gute Jungs, keine Frage.
    Wenn sie sich bloß dieses dämliche Schulterklopfen abgewöhnen könnten.
    Schließlich, nachdem auch der Letzte an mir vorbeigeschlurft war wie Kondolierende an einem offenen Grab, und nach Verstreichen einer Pause, gerade lang genug, um einem Zeit zu lassen, sich zu fragen, wo er denn bliebe, erschien er endlich, der Gastgeber der Party, der Herr dieses Hauses: unser Willy.
    Ächzend lehnte er im Rahmen der Küchentüre, die mit Isolierband wenig fachmännisch geflickte Brille schräg auf der Nase und die Gesichtszüge entgleist wie eine unter die Pfoten eines Neufundländers geratene Modelleisenbahn, und fasste Mut für die Querung des Raumes. Willy, wollte mir scheinen, hatte mehr als nur genippt am >Schädelspalter<, wie Überlebende unsere Bowle schon mal tituliert haben sollen. Nach einigem Durchatmen und noch mehr, viel Rollen von Kopf und Augen beanspruchenden Bemühungen, seinen Blick zu fokussieren, erkannte er mich, wahrscheinlich, stutzte erst, stieß sich dann freudestrahlend vom Türrahmen ab, schwankte mit gefährlich pendelndem Seitenausschlag zu mir herüber, versuchte, mir auf die Schulter zu klopfen, klopfte daneben und klatschte der Länge nach seitwärts in die Überreste zweier Spanferkel.
    »HasndudamitteinnAugemacht?«, fragte er, zwischen vergeblichen Versuchen, sich inmitten seines fettglitschenden Lagers aufzurichten.
    »GimmirmaneHand«, sah er es schließlich ein und ließ sich von mir in eine sitzende Haltung hochziehen. Von der Hüfte aufwärts bis zum Scheitel trug er mehr

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