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Der Willy ist weg

Der Willy ist weg

Titel: Der Willy ist weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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sich spurlos in dem eisigen Sturm, der ungehindert durch die große, rechteckige, von krümeligem Glas umrahmte Öffnung pfiff, die einmal meine Windschutzscheibe gewesen war. Rau sind sie, die Sitten im Amsterdamer Rotlichtviertel. Oh ja.
    Wie sollte ich es ihnen beibringen? Sollte ich sie mit der Realität konfrontieren? Schonungslos? Sollte ich sagen: »Ihre Tochter stellt lieber dreißigmal am Tag irgendeine ihrer Körperöffnungen irgendwelchen angesoffenen Kerlen zur Verfügung, damit die unter rhythmischem Grunzen das schleimige Produkt ihrer Triebe darin entladen können, als ihre Reit-, Ballett- und Tennisstunden wieder aufzunehmen? Und lässt sich lieber von ihren beiden chinesischen Zuhältern zusammen mit zwei anderen Suchtnutten wie eine Leibeigene in einem dreckigen Loch gefangen halten, als zu Ihnen in Ihre 20-Zimmer-Villa im Uhlenhorst zurückzukehren?« Es wäre die nackte Wahrheit gewesen.
    Sie hatte die beiden Luden sogar noch angefeuert, als die's mir verpassten.
    Das, vor allem, könnte in einem jetzt den Eindruck erwecken, sie handele aus freien Stücken. Man könnte meinen, sie lebte dieses degenerierte Dasein als Ergebnis eines Entscheidungsprozesses, an dessen Ende die simple Maxime >Lieber arm und krank als reich und gesund< gestanden hätte. Selbst ich hatte im Wegfahren noch gedacht, lass sie, du siehst es doch, sie will nicht anders. Selbst ich, der ich es besser wissen müsste, besser wusste.
    Denn ich weiß es. Ich weiß, wie es ist, wenn die Angst, von der Droge getrennt zu werden, so groß wird, dass sie allen anderen Ängsten den Raum nimmt. Wenn sie größer wird als die Angst vor dem Verlust der Existenz, der Gesundheit, der Würde, des eigenen Lebens. Das ist groß. Das ist Angst. Und nichts anderes.
    Mich hatten sie ja im Knast entwöhnt. Kalt. Kurz und schmerzhaft. Und, seltsam genug, von Dauer. Meine Haltung zu Heroin glich seither in vieler Hinsicht der eines Geschiedenen, dem erst in der Trennungsphase klar wird, mit was für einem Monster er die ganze Zeit verheiratet gewesen ist: >Wie habe ich mich bloß jemals damit einlassen können?< stand immer im Raum, wenn ich mit dieser abgefuckten Szene in Berührung kam.
    Und das war dauernd. Ich kannte mich aus, ich sprach die Sprache, ich lebte davon. Ich war seit zwölf Monaten gewerblich angemeldeter Detektiv, und ins Drogenmilieu abgedriftete Kids aufzutreiben war eine meiner Spezialitäten. Dabei in Schwierigkeiten zu geraten eine andere.
    Die Autobahn war beinahe gespenstisch leer. Der Tank des Transporters auch. Meine Taschen sowieso. Vor allem, was Gulden anging. Und D-Mark akzeptierten die automatisierten Zapfsäulen entlang der Bahn nicht. Ich war deshalb froh, als an der dritten Tankstelle hintereinander endlich mal jemand da war, und waren es auch nur andere Reisende. Vielleicht könnten sie ja wechseln.
    Es war ein ziemlich neu aussehender, metallic-grüner Ford Capri aus Frankfurt, und irgendetwas war damit nicht in Ordnung. Das sah man gleich. Niemand legt sich bei Temperaturen um den Gefrierpunkt nur so aus Jux und Dollerei unter seinen Wagen. Noch dazu mitten in der Nacht.
    Sie waren zu zweit. In Lederjacken, Jeans, Adidas. Wie ich, also. Einer fummelte fluchend unter dem Heck des Capris herum, der andere stand daneben, mit Klebeband in der einen, dem Schwengel vom Wagenheber in der anderen Hand und dem dösigen Gesicht von jemandem, der irgendwie helfen möchte, aber nicht kann.
    Ich trat heran, und Benzindunst füllte meine Nase. Es roch wie ein denkbar unangebrachter Zeitpunkt, um sich eine anzustecken.
    »Das hat man jetzt davon, wenn man einen gottverdammten Junkie schweißen lässt«, kam es unter dem Wagen hervor. »Ich hatte gleich so ein Scheißgefühl...«
    Ich räusperte mich. Das Gemecker erstarb. Der Typ mit dem Klebeband in der einen Hand fuhr zu mir herum.
    »Hau ab!«, sagte er, reflexartig, automatisch, drohend.
    Beschwichtigend breitete ich die Hände aus. »Jungs«, sagte ich, »wenn mir nur eben einer von euch ein paar Mark in Gulden wechseln könnte .«
    »Nein.« Ohne Entschuldigung, ohne Bedauern. Ohne auch nur einmal in die Taschen gesehen zu haben.
    »Die Automaten nehmen nur Gulden. Und ich bin auf den letzten Tropfen Sprit unterwegs .«
    »Hast du nicht gehört? Hau ab, Fletschauge!«, kam es unter dem Wagen hervor. »Zieh Leine!«
    »Und zwar flott«, ergänzte der stehende Kollege. Und machte einen Schritt auf mich zu. Mit dem Schwengel in der anderen.
    Eine Platzwunde, fiel mir auf,

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