Der Winterschmied
Mond stand hoch am Himmel, aber Wolken zogen schnell über ihn hinweg und füllten den Wald mit unsteten Schatten. Äste stießen aneinander, und Tiffany hörte ein lautes Knacken, als irgendwo im Dunkeln einer zu Boden fiel.
»Gehen wir in die Dörfer?«, schrie Tiffany, um das Heulen des Winds zu übertönen.
»Nein!«, brüllte Fräulein Verrat. »Nimm den Weg durch den Wald!«
Ach, dachte Tiffany, geht es hier vielleicht um das berühmte »Ohne-Schlüpfer-Tanzen«, von dem ich so oft gehört habe? Nun, eigentlich habe ich gar nicht so viel darüber gehört, denn sobald jemand darauf zu sprechen kommt, verbietet jemand anders ihm den Mund. Also habe ich eigentlich kaum etwas darüber gehört, das aber auf eine sehr bedeutungsvolle Weise.
Das »Ohne-Schlüpfer-Tanzen« war in der Vorstellung der Menschen unter Hexen Brauch. Die Hexen selbst waren jedoch ganz anderer Ansicht. Tiffany musste zugeben, dass sie den Grund dafür verstand. Selbst im Sommer waren die Nächte nicht besonders warm, und außerdem musste man immer mit Igeln und Disteln rechnen. Hinzu kam: Man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass jemand wie Oma Wetterwachs ohne... Nun, man konnte es sich nicht vorstellen, und wenn man es trotzdem tat, so platzte einem der Kopf.
Der Wind ließ nach, als Tiffany den Weg durch den Wald einschlug, immer noch die schwebende alte Hexe im Schlepptau. Aber er hatte kalte Luft mitgebracht und sie im
Wald zurückgelassen. Tiffany war froh, dass sie einen Mantel trug, wenn auch einen schwarzen.
Sie stapfte weiter voran. Immer wenn Fräulein Verrat sie dazu aufforderte, bog sie auf einen anderen Weg ab, bis sie schließlich in einer kleinen Senke Feuerschein zwischen den Bäumen sah.
»Bleib stehen und hilf mir herunter, Mädchen«, sagte die alte Hexe. »Und hör mir gut zu. Es gibt Regeln.
Erstens: Du hältst den Mund. Zweitens: Du darfst nur die Tänzer ansehen. Drittens: Du rührst dich nicht von der Stelle, bis der Tanz vorbei ist. Ich werde dir das nicht zweimal sagen.« »Ja, Fräulein Verrat. Es ist sehr kalt hier.« »Und es wird noch kälter werden.« Sie näherten sich dem Licht. Was nützt ein Tanz, wenn man nur zusehen darf?, dachte Tiffany. Das hört sich nicht besonders amüsant an.
»Es soll auch gar nicht amüsant sein«, sagte Fräulein Verrat.
Schatten huschten am Feuer vorbei, und Tiffany hörte die Stimmen von Männern. Und dann, als sie den Rand der Senke erreichten, schüttete jemand Wasser ins Feuer.
Es zischte, und eine Wolke aus Dampf und Rauch stieg zwischen den Bäumen auf. Es geschah so plötzlich, dass es wie ein Schock war. Das Einzige, was lebendig gewirkt hatte, war plötzlich tot.
Trockenes Laub knirschte unter Tiffanys Stiefeln. Der Mond, der an einem inzwischen von Wolken leergefegten Himmel stand, projizierte kleine silbergraue Formen auf den Waldboden.
Es dauerte eine Weile, bis Tiffany merkte, dass sechs Männer in der Mitte der Lichtung standen. Offenbar trugen sie schwarze Kleidung; im Gegenlicht des Mondes wirkten sie wie menschenförmige Löcher im Nichts. Sie hatten sich in zwei Dreierreihen einander gegenüber aufgestellt, aber sie standen so still, dass sich Tiffany schließlich fragte, ob sie sich die Männer nur einbildete. Dumpfe Trommelschläge waren zu hören: Bumm... bumm... bumm.
Etwa eine halbe Minute ging es so weiter, und dann hörte das Trommeln wieder auf. Doch in der Stille des kalten Waldes wummerte es in Tiffanys Kopf weiter, und vielleicht war sie nicht die Einzige, der es so ging, denn die Männer nickten sachte mit dem Kopf, um den Takt zu halten.
Sie begannen zu tanzen.
Nur die Tritte der Stiefel waren zu hören, während die Schattenmänner aufeinander zutanzten und sich wieder voneinander entfernten. Aber dann vernahm Tiffany, in deren Kopf noch immer die Trommelschläge dröhnten, noch ein anderes Geräusch. Ihr Fuß klopfte auf den Boden, von ganz allein.
Sie hatte diesen Rhythmus schon einmal gehört und Männer auf diese Weise tanzen sehen. Aber an warmen Tagen im Sonnenschein. Und sie hatten dabei Glöckchen an ihrer Kleidung getragen!
»Das ist ein Moriskentanz!«, sagte sie, nicht leise genug.
»Pst!«, zischte Fräulein Verrat.
»Aber dies ist nicht die richtige Z...«
»Sei still!«
Tiffany errötete in der Dunkelheit, und gleichzeitig regte sich Ärger in ihr. Trotzig wandte sie den Blick von den Tänzern ab und sah sich auf der Lichtung um. Weitere Schatten drängten sich heran, menschliche Schatten oder
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