Der Winterschmied
da auch das Rezept drin?«
»Nein, aber vielleicht finden wir eins in Superflua Rabens Kochen in ernsten Notlagen. Daraus hatten wir gestern das Rezept für die >Surprise von nahrhaften gekochten Socken<...« Jemand hämmerte an die Tür. Sie bestand aus zwei Teilen, und nur der obere Teil konnte geöffnet werden, so dass das Fensterbrett darunter als eine Art kleiner Schreibtisch für das Abstempeln von Büchern verwendet werden konnte. Schnee drang durch den Schlitz, während das Hämmern andauerte.
»Ich hoffe, das sind nicht wieder die Wölfe«, sagte Herr Grizzler. »In der vergangenen Nacht habe ich überhaupt keinen Schlaf bekommen!«
»Klopfen Wölfe an? Wir könnten in Rittmeister W E. Leichtigs Das Verhalten der Wölfe nachsehen«, sagte der Oberste Bibliothekar Schwinslich. »Oder wie war's, wenn du einfach die Tür öffnest? Schnell! Die Kerze geht aus!«
Grizzler öffnete die obere Hälfte der Tür. Eine große Gestalt stand auf der Treppe, im unsteten, von Wolken verhüllten Mondschein nur schwer zu erkennen.
»Ich suche nach einer Romanze«, polterte sie.
Der stellvertretende Bibliothekar überlegte kurz und fragte dann: »Ist es da draußen nicht ein bisschen frisch dafür?«
»Ihr seid doch die Leute mit all den Büchern, nich' wahr?«, fragte die Gestalt.
»Ja... ach, eine Romanze! Ja, gewiss«, sagte Herr Schwinslich und wirkte erleichtert. »Ich glaube, in dem Fall solltest du dich an Fräulein Jenkins wenden. Komm bitte mal her, Fräulein Jenkins.«
»Ihr scheint's da drin ja verdammich kalt zu ham«, sagte die Gestalt. »Es hängen Eiszapfen an der Decke.«
»Ja, aber von den Büchern haben wir sie fernhalten kön nen«, sagte Herr Schwinslich. »Ah, Fräulein Jenkins. Der, äh, Herr sucht nach einer Romanze. Dein Fachgebiet, denke ich.«
»In der Tat«, bestätigte Fräulein Jenkins und trat zwischen den Regalen hervor. »Nach welcher Art von Romanze suchst du?«
»Oh, eine mit 'nem Umschlag, weißt du, und mit Seiten mit vielen Wörter drauf un' so«, antwortete die Gestalt. Fräulein Jenkins, die an so etwas gewöhnt war, verschwand auf der anderen Seite des Wagens im Dunkeln. »Diese Hirnis sin' total plemplem!«, erklang eine weitere Stimme. Sie schien irgendwo aus dem geheimnisvollen Buchausleiher zu kommen, aber ein ganzes Stück unter dem Kopf.
»Wie bitte?«, entgegnete Herr Schwinslich.
»Ach, null Problemo«, sagte die Gestalt schnell. »Mein Knie gibt manchmal komische Geräusche von sich, das is' ein altes Leiden...«
»Warum verbrennen sie nich' all die Bücher?«, murrte das Knie hinter der Tür.
»Entschuldigung. Du weißt sicher, in welche Schwierigkeiten Knie einen Mann in aller Öffentlichkeit bringen können«, sagte der Fremde. »Das ist wirklich nicht auszuhalten.«
»Ich weiß, wie das ist«, erwiderte Herr Schwinslich. »Bei feuchtem Wetter bereitet mir mein Ellenbogen Schmerzen.« In den unteren Regionen des Fremden schien eine Art Kampf stattzufinden - dort schlackerte er wie eine Marionette.
»Das macht einen Cent«, sagte Fräulein Jenkins. »Und ich brauche deinen Namen und die Adresse.«
Die dunkle Gestalt schauderte. »Oh, ich... wir nennen nie unseren Namen un' die Adresse!«, stieß sie hervor. »Das is' gegen unsere Religion, weißt du. Äh... ich will niemandem zu nahe treten, aber warum friert ihr euch da drin zu Tode?«
»Unsere Ochsen sind weggelaufen, und der Schnee liegt so hoch, dass man nicht durchkommt«, antwortete Herr Schwinslich.
»Ja, aber ihr habt einen Ofen un' all die trockenen alten Bücher«, meinte die dunkle Gestalt.
»Ja, ich weiß«, erwiderte der Bibliothekar verwirrt.
Es folgte ein peinliches Schweigen, das entsteht, wenn zwei Personen völlig aneinander vorbeireden. Dann:
»Was haltet ihr davon, wenn ich un' - mein Knie - losgehen un' die Ochsen für euch holen?«, fragte die geheimnisvolle Gestalt. »Dürfte doch einen Cent wert sein, oder? Großer Yan, gleich setzt es was!«
Die Gestalt verschwand hinter dem unteren Teil der Tür. Im Mondschein stob Schnee auf. Für einen Moment klang es, als würde eine Rauferei stattfinden, und dann ertönte etwas, das sich wie »Potzblitz!« anhörte.
Gerade als die Bibliothekare die Tür wieder schließen wollten, hörten sie das erschrockene Gebrüll der Ochsen, das schnell lauter wurde.
Zwei wogende Schneewehen rasten über das glitzernde Moor. Die Ochsen ritten wie Surfer darauf und heulten zum Mond empor. Dicht vor dem Wagen kam die Schneewehen zur Ruhe. Ein
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