Der Wissenschaftswahn
am besten bei Dingen oder Apparaten, die der Mensch selbst gemacht hat. Mathematik ist in der Mechanik außerordentlich nützlich, wenn es um relativ einfache Probleme wie die Berechnung der Flugbahnen von Kanonenkugeln oder Raketen geht.
Ein sprechendes Beispiel ist die Billardkugelphysik, die Karambolagen und Aufprallenergien sehr gut berechnen kann, aber nur mit idealen Billardkugeln in einer reibungsfreien Umgebung. Die Mathematik lässt sich vereinfachen, wenn man die Umstände des Spiels selbst stark vereinfacht: Die Kugeln sind von idealer Rundung, der Tisch ist perfekt eben, die Gummibande ringsum ist überall vollkommen gleichförmig – kurz, ein Arrangement, wie es unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommt. Denken Sie sich zum Vergleich einen Steinbrocken, der einen Bergabhang hinunterpoltert. In der wirklichen Welt stellen die Kollisionen und Richtungswechsel der Billardkugeln außerdem einen Spielverlauf dar, nur liegen die Regeln des Spiels und die Intentionen der Spieler schon außerhalb dessen, was die Physik erfassen kann. Das mathematische Modell des Verhaltens von Billardkugeln ist folglich eine extreme Abstraktion.
Der Gott der mechanischen Natur
Heute dient die Maschinentheorie der Natur als Argument für den Materialismus, aber den Vätern der modernen Naturwissenschaft bestätigte sie eher das christliche Weltbild, als es zu untergraben.
Eine Maschine braucht jemanden, der sie ersinnt und baut. Robert Boyle war einer von denen, die die mechanische Ordnung der Natur als Beweis für göttliche Planung ansahen. [69] Und für Isaac Newton war Gott »in Mechanik und Geometrie sehr bewandert«. [70]
Gott muss umso weniger eingreifen, je besser die Weltmaschine funktioniert. Bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts gelangte man zu dem Schluss, die kosmische Maschine funktioniere auch ohne göttliche Intervention perfekt. Das war die Zeit, in der viele Intellektuelle mit Sinn für Naturwissenschaft vom Christentum zum Deismus übergingen. Ein höchstes Wesen hatte die Weltmaschine entworfen, geschaffen und in Bewegung gesetzt, um sie dann ihrem automatischen Lauf zu überlassen. Dieser Gott griff nicht in die Dinge der Welt ein, und es war sinnlos, zu ihm zu beten. Eigentlich war jede religiöse Praxis gegenstandslos. Für viele Philosophen der Aufklärung, Voltaire zum Beispiel, war Deismus gleichbedeutend mit der Ablehnung des Christentums.
Unter denen, die dem Christentum die Treue hielten, gab es einige, die mit den Deisten die Ansichten der mechanistischen Naturwissenschaft teilten. Der berühmteste Vertreter der mechanistischen Theologie war William Paley, ein anglikanischer Priester. In seinem 1802 veröffentlichten Buch
Natural Theology
(
Natürliche Theologie
, 1837 ) gebrauchte er das Beispiel eines Mannes, der eine Taschenuhr findet. Bei näherer Betrachtung des Objekts würde er den sinnreichen Mechanismus und die Präzision der Arbeit erkennen und zu diesem Schluss gelangen: »Es muss irgendwann und irgendwo einen oder mehrere Kunsthandwerker gegeben haben, der oder die es für den Zweck machten, dem es nach unserer Erkenntnis seiner Konstruktion und Anfertigung tatsächlich dient.« [71] Und so müsse es auch mit »den Werken der Natur«, etwa dem Auge, sein. Gott war der Konstrukteur.
Anglikanische Geistliche verfassten im neunzehnten Jahrhundert viele naturkundliche Bücher, und die meisten äußerten ähnliche Ansichten wie Paley. So veröffentlichte Reverend Francis Morris 1853 ein reich bebildertes Buch mit dem Titel
History of British Butterflies
, das sich großer Beliebtheit erfreute. Es war einerseits als Bestimmungsbuch gedacht, sollte jedoch außerdem die Schönheit der Natur in Erinnerung rufen. Morris glaubte, dass Gott jedem Menschengeist eine »instinktive allgemeine Naturliebe« eingepflanzt habe, die Jung und Alt die Möglichkeit gab, »sich an all dem Schönen zu freuen, worin der gütige Schöpfer so unerschöpfliche Weisheit seines All-Vermögens offenbart«. [72]
Das war genau die Naturtheologie, die Darwin in seiner Theorie der Evolution durch natürliche Auslese zurückwies. Mit diesem Schritt untergrub er letztlich auch die Maschinentheorie des Lebens, wie ich weiter unten noch erörtern werde. Aber die Kontroverse, die er ins Rollen brachte, begleitet uns bis heute, und ihre neueste Inkarnation wird
Intelligent Design
genannt. Die Anhänger dieser Bewegung versteifen sich auf die Tatsache, dass es schwierig bis unmöglich ist, das Auge der Wirbeltiere
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