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Der Wissenschaftswahn

Der Wissenschaftswahn

Titel: Der Wissenschaftswahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Sheldrake
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seit langer Zeit angenommenen Gewohnheit hat sich ergeben, dass bei den Individuen ihrer Rasse die Vorderbeine länger als die Hinterbeine geworden sind und dass ihr Hals sich dermaßen verlängert hat, dass die Giraffe, ohne sich auf die Hinterbeine zu stellen, wenn sie ihren Kopf aufrichtet, eine Höhe von sechs Metern … erreicht. [80]

    Darüber hinaus brachte eine dem Leben innewohnende Kraft immer komplexere Organismen hervor, die auf der Entwicklungsleiter des Lebens auf immer höheren Stufen standen. Lamarck nannte als Quelle der Kraft des Lebens »den erhabenen Autor«, der »eine Ordnung der Dinge [schuf], die alles, was wir sehen, und alles, was existiert und was wir nicht kennen, nacheinander ins Leben treten ließ«. [81] Er war wie Erasmus Darwin ein romantischer Deist. Das gilt auch für Robert Chambers, der die Idee der progressiven Evolution in seinem 1844 anonym veröffentlichten Beststeller
Vestiges of the Natural History of Creation
(Natürliche Geschichte der Schöpfung des Weltalls, der Erde und der auf ihr befindlichen Organismen)
populär machte. Alles in der Natur, sagte er, schreite gemäß einem gottgegebenen »Gesetz der Schöpfung« höheren Zuständen entgegen. [82] Sein Werk war unter religiösen ebenso wie unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten umstritten, sagte aber – wie Lamarcks Theorie – den Atheisten zu, weil es die Notwendigkeit eines göttlichen Designers umging.
    Doch Chambers, Lamarck und Erasmus Darwin entzogen nicht nur der mechanistischen Theologie die Grundlage, sondern – und vielleicht ohne es zu merken – auch der mechanistischen Theorie des Lebens. Unbelebte Maschinen können nicht die Kraft des Lebens in sich tragen, sie können nicht schöpferisch sein oder sich auf irgendeine Weise selbst verbessern. Die Theorie der schrittweisen Evolution entmystifizierte die Schöpferkraft Gottes, weil sie die Evolution selbst zum Mysterium erhob.
    Charles Darwins und Alfred Russel Wallaces Theorie der Evolution durch natürliche Zuchtwahl ( 1858 ) unternahm nun die Entmystifizierung der Evolution. Die Natürliche Auslese war aus ihrer Sicht blind und unpersönlich und bedurfte keines göttlichen Wirkens. Sie merzte Organismen aus, die nicht lebenstüchtig waren, und begünstigte die besser angepassten. Der Untertitel von Darwins
Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl
lautete
Die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe um's Dasein
. Das Schöpferische lag jetzt in den Tieren und Pflanzen selbst. Sie veränderten sich spontan und passten sich neuen Gegebenheiten an.
    Darwin gab keine Erklärung für diese schöpferische Kraft. Seine Theorie stellte jedoch eine Absage an den Designer-Gott der mechanistischen Theologie dar, und wie sein Großvater schrieb er alle Kreativität der Natur zu: Die Natur selbst ließ den Baum des Lebens wachsen und sich verzweigen. Vermöge ihrer unbändigen Fruchtbarkeit, ihrer spontanen Abwandlung und ihrer Kräfte der Auslese vermochte sie all das selbst, was Paley als Gottes Werk ansah. Diese Natur war kein unbelebtes mechanisches Räderwerk nach Art der Himmelsphysik, sondern durch und durch lebendig und schöpferisch. Darwin entschuldigte sich sogar für seine Ausdrucksweise: »Der Kürze halber spreche ich mitunter von der natürlichen Auslese wie von einer intelligenten Kraft … Auch habe ich die Natur vielerorts personifiziert, es fällt mir schwer, diese Missverständlichkeit zu vermeiden.« [83]
    Er gab seinen Lesern den Rat, nicht nach dem tieferen Sinn seiner Ausdrucksweise zu forschen. Wenn wir es aber doch einmal tun, ist die Natur die Mutter, aus deren Schoß alles Leben kommt und in deren Schoß alles Leben zurückkehrt. Sie ist grenzenlos fruchtbar, aber auch erschreckend und grausam, sie frisst ihre eigenen Kinder. Wie die indische Göttin Kali ist sie ebenso zerstörerisch wie schöpferisch. Die natürliche Auslese war für Darwin »eine unaufhörlich aktionsbereite Kraft« [84] und erreichte ihre Zwecke über das Töten. Der Ausdruck »Natur, rot an Zähnen und Klauen« stammt eigentlich von Tennyson und nicht von Darwin, jedenfalls gemahnt er sehr an Kali oder an die griechische Göttin des Zorns Nemesis oder an die rachedurstigen Furien.
    Charles Darwin glaubte wie sein Großvater Erasmus und wie Lamarck an die Vererbung erworbener Merkmale. In seinen Büchern gibt er viele Beispiele für die Vererbung von Anpassungsleistungen an die Nachkommen. [85] Die neodarwinistische Evolutionstheorie, wie sie

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