Der Wissenschaftswahn
oder die Geißeln von Einzellern als Ergebnis einer Reihe von Zufallsmutationen im Zusammenwirken mit der natürlichen Auslese zu erklären. In komplexen Strukturen und Organen, so argumentieren sie, ist deshalb ein so fein abgestimmtes Zusammenspiel vieler Komponenten zu erkennen, weil sie sich einem kreativen, intelligenten Design verdanken. Die Frage, wer der Designer ist, bleibt offen, [73] aber es kann wohl nur Gott sein.
Wenn man von einem Design – einem Plan oder Entwurf, also von einer gezielten Konstruktion – ausgeht, ist man gezwungen, einen Designer anzunehmen, also einen Geist, der von außen wirkt. Menschen entwerfen Maschinen, Gebäude und Kunstwerke. So muss auch der Gott der mechanistischen Theologie, der Intelligente Designer, die Lebewesen in allen Einzelheiten entworfen haben.
Aber Zufall und äußere Intelligenz sind nicht die einzigen Möglichkeiten. Lebewesen könnten ihre eigene Kreativität besitzen, wie wir es für uns auch in Anspruch nehmen. Wenn wir einen Einfall haben oder auf eine neue Methode kommen, entwerfen wir ja nicht erst einmal eine Idee, die wir dann unserem Geist eingeben. Ein Einfall kommt einfach und niemand weiß, wie oder weshalb. Menschen besitzen von Natur aus diese Kreativität, und so könnte in allen Lebewesen etwas Schöpferisches liegen, das sich auf diese oder jene Weise im Kleinen oder Großen bekundet. Maschinen brauchen Konstrukteure außerhalb ihrer selbst, Organismen nicht.
Im Übrigen entspringt der Glaube an ein göttliches Design aller Pflanzen und Tiere nicht der christlichen Überlieferung, sondern der Naturwissenschaft des siebzehnten Jahrhunderts. Er steht sogar im Widerspruch zum biblischen Bericht von der Erschaffung des Lebens in der Genesis. Da werden Tiere und Pflanzen keineswegs als Maschinen dargestellt, sondern als vermehrungsfähige Organismen, die der Erde und dem Meer entsprangen, etwa im elften Vers des ersten Kapitels: »Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das sich besame, und die fruchtbaren Bäume, da ein jeglicher nach seiner Art Frucht trage und habe seinen eigenen Samen bei sich selbst auf Erden.« In Vers 24 hören wir weiter: »Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendige Tiere, ein jegliches nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art.« In der Theologensprache ausgedrückt handelt es sich hier um »mittelbare« Schöpfung. Gott hat die Pflanzen und Tiere nicht direkt erschaffen. Er erschuf sie vielmehr, wie es in einem katholischen Bibelkommentar heißt, »durch Mutter Erde als ausführendes Organ«. [74]
Als die Natur wieder zum Leben erwachte
Die Aufklärer setzten auf mechanistische Wissenschaft, auf Vernunft und menschlichen Fortschritt. Die Ideen und Wertvorstellungen der Aufklärung spielen immer noch eine bedeutende Rolle in unserem Bildungssystem, in Gesellschaft und Politik. In der Romantik jedoch, etwa von 1780 bis 1830 , kam es zu einer Gegenbewegung, die vor allem in Kunst und Literatur ihren Niederschlag fand. Den Romantikern waren Gefühl und Ästhetik wichtiger als die rationale Vernunft. In ihren Augen war die Natur alles andere als ein Mechanismus, nämlich lebendig. Kein anderer hat diesen Gedanken so direkt auf die Wissenschaft angewandt wie Friedrich Wilhelm Schelling in seinen
Ideen zu einer Philosophie der Natur
von 1797 , einem Buch, das die Natur als dynamisches Wechselspiel von Polaritäten und antagonistischen Kräften beschreibt, in dem die Materie zum Leben erwacht. [75]
Es gehörte zum Charakter der Romantik, dass sie mechanische Metaphern ablehnte und eine Bildersprache wählte, in der die Natur als lebendig und organisch erschien, fruchtbar und in Entwicklung begriffen. [76] Das ist der Zusammenhang, in dem die ersten Evolutionstheorien aufkamen.
Manche Wissenschaftler, Dichter und Philosophen verknüpften ihre Naturphilosophie mit einem Gott, der die Natur mit Leben erfüllte und sie dann ihrer spontanen Evolution überließ – eher der Gott der Schöpfungsgeschichte als der Designergott der mechanistischen Theologie. Andere verstanden sich wie der englische Dichter Percy Shelley ( 1792 –1822 ) als Atheisten, aber sie zweifelten nicht am Wirken einer lebendigen Kraft in der Natur, die Shelley als Seele des Universums, all-genügende Kraft oder Geist der Natur bezeichnete. Er war auch einer der Ersten, der aus Achtung vor Tieren als fühlenden Wesen für die vegetarische Ernährung eintrat. [77]
Hier ein kurzer Überblick
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