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Der Wohlfahrtskonzern

Der Wohlfahrtskonzern

Titel: Der Wohlfahrtskonzern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl - Lester del Rey
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»Der Krieg, den es gar nicht gegeben haben kann, weil die Gesellschaft doch allen Kriegen ein Ende gesetzt hat – wie jedermann weiß. Ach, Tom! Warum ist die Welt so blind? Alle glauben, und keiner stellt Fragen. Die Gesellschaft hat den Krieg beseitigt, so sagt sie. Und die blinde Welt sieht nie die vielen kleinen Kriege, die – einander immer dicht auf den Fersen – überall toben. Die Gesellschaft hat die Armut beseitigt. Deshalb lebe ich in solchem Reichtum – oder der alte Mann, der sich in die Gewölbe geflüchtet hat. Sie hat die Krankheiten ausgemerzt, aber wieviele Todesfälle gibt es täglich?« Sie starrte mich mit brennenden Augen an.
    »Aber … aber Rena«, stammelte ich, »die Statistik zeigt ganz klar …«
    »Nein, Tom«, sagte sie wieder sehr freundlich. »Die statistischen Kurven zeigen weniger Krieg, nicht keinen Krieg. Sie zeigen weniger Krankheit und Leiden.« Müde rieb sie ihre Augen – und selbst in diesem Moment dachte ich daran, daß Marianna so etwas niemals gewagt hätte, um ihr Make-up nicht zu verschmieren. »Das Problem mit Ihnen, Tom, ist«, sagte sie, »daß Sie Amerikaner sind. Sie wissen gar nicht, was in der Welt eigentlich vor sich geht. Sie kennen nur Amerika. Sie wissen nicht, wie es nach der Beendigung des Kurzen Krieges war, als Amerika gewonnen hatte und die Senatoren in Schwadronen herübergeflogen kamen und die übriggebliebenen Regierungen der Auflösung ihrer staatlichen Großverbände zustimmten. Ihr seid an ein großes, vereinigtes Land gewöhnt, nicht an viele kleine Stadtstaaten.
    Ihr blickt auch auf keine Tausende von Jahren zählende Geschichte von Intrigen und Tyrannei zurück, also schließt ihr einfach die Augen und marschiert drauflos, und wenn die Statistiken zeigen, daß die Zustände sich ein wenig gebessert haben, glaubt ihr schon, es sei alles vollkommen.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir aber nicht. Wir können uns das nicht leisten. Wir öffnen unsere Augen immer und überall der Gefahr. Manchmal sehen wir Gespenster, aber manchmal haben wir auch recht. Sie blicken auf die Statistik und sehen, daß es weniger Kriege gibt als vorher. Wir … wir blicken auf die Statistik und sehen dort unsere Väter und Brüder, gestorben in einem kleinen Krieg, der nicht einmal einen schwachen Knick in der Kurve verursacht. Sie, Tom sehen selbst das nicht. Sie sehen nicht die Krankheitsfalle, die nicht geheilt werden … weil die Techniken noch ‚im Experimentierstadium’ sind, wie sie es nennen. Sie wissen nichts, Tom!«
    Man sah es mir vermutlich an: das hatte mich voll getroffen. Mit einiger Anstrengung sagte ich: »Tut mir leid, Rena, Sie haben mich an etwas erinnert. Bitte fahren Sie fort.«
    Sie hob die Schultern. »Ich denke, das war’s, Tom. Man kann euch aus den Staaten keinen Vorwurf machen, die große Lüge – die Lüge, die so gewaltig und widersinnig ist, daß sie gar nicht mehr in Frage gestellt wird, die Behauptung, die sich selbst beweist, weil es unvorstellbar ist, daß sie jemand äußert, ohne daß sie wahr wäre – ist keine amerikanische Erfindung. Sie kommt aus Europa, Tom. Sie sind nicht immun dagegen … aber wir.«
    Ich holte tief Luft. »Was ist mit Ihrem Vater, Rena? Glauben Sie wirklich, daß die Gesellschaft es auf ihn abgesehen hat?«
    Sie sah mich forschend an und senkte dann hoffnungslos den Blick. »Nicht so, wie Sie denken, Tom«, sagte sie schließlich. »Nein, ich bin nicht paranoid. Ich glaube, er ist … unbequem, ein Störfaktor. Ich glaube, die Gesellschaft sieht es als weniger problematisch an, ihn ‚einzufrieren’, als ihn frei herumlaufen zu lassen.«
    »Aber glauben Sie denn nicht, daß er behandelt werden muß?«
    »Wogegen? Gegen die Strahlenvergiftung, die er sich durch eine A-Bombenexplosion zugezogen hat, in deren Nähe er nicht einmal war? Bedenken Sie, er ist mein Vater! Ich war während des Krieges mit ihm zusammen – und er hat sich nie auch nur einen Kilometer von unserem Haus entfernt. Sie waren dort, das große Haus, in dem jetzt meine Tante Luisa lebt. Haben Sie dort Bombenkrater gesehen?«
    »Sie lügen!« Ich mußte es mir eingestehen: Rena fing an, mir etwas zu bedeuten. Aber es gab Knöpfe, die selbst sie nicht drücken konnte. Wenn sie ein Mann gewesen wäre, irgendein Mann, ich hätte ihr schon längst meine Faust ins Gesicht geschlagen; Heimtücke und Verrat an der Gesellschaft waren mehr, als ich ertragen konnte! Scharf sagte ich: »Sie können mich nicht davon überzeugen, daß die

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