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Der Wohlfahrtskonzern

Der Wohlfahrtskonzern

Titel: Der Wohlfahrtskonzern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederik Pohl - Lester del Rey
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Verstümmelten an und ließ sie barmherzig so lange schlafen, bis man sie heilen konnte.
    Zugegeben, ihre Körper wurden kalt, die Lungen atmeten nicht mehr, das Herz hörte auf zu schlagen; zugegeben, kein Arzt konnte auf den ersten Blick sagen, ob ein Suspendierter lebte oder nicht. (Die Lebensprozesse wurden nicht vollständig angehalten, sondern enorm verlangsamt – soweit, daß die chemische Diffusion in dem geleeartigen Blut völlig ausreichte, um den gesamten Körper mit Sauerstoff zu versorgen.) Aber es gab einen Unterschied: Die Toten waren tot und blieben tot, während die Suspendierten ins Leben zurückgebracht werden konnten, wann immer die Gesellschaft es für richtig hielt.
    Aber es war mir nicht möglich, ihr das klarzumachen. Ich konnte sie nicht einmal dadurch trösten, daß ich sie daran erinnerte, daß der alte Mann schließlich nur ein E-Kategorieler war.
    Sie war nichts anderes.
    »Rena, Sie glauben, daß sich irgend etwas versteckt hinter den Kulissen abspielt. Erzählen Sie mir davon. Warum, glauben Sie, hat man Ihren Vater in die Suspendierung versetzt?«
    »Um ihn aus dem Weg zu haben, weil die Gesellschaft ihn fürchtet.«
    Ich spielte meine Trumpfkarte aus. »Angenommen, ich sage Ihnen den wahren, den wirklichen Grund, warum er in der Klinik liegt?«
    » Was?« Das hatte sie getroffen, ich sah es; sie starrte mich mit vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen an.
    »Ja, Sie brauchen keine Vermutungen darüber anzustellen, Rena, ich weiß es. Ich habe mir seine Akte angesehen.«
    »Sie … Sie …«
    Ich nickte. »Ich habe sein Dossier gelesen. Es steht dort, schwarz auf weiß. Es wird nur versucht, sein Leben zu retten. Er hat eine radioaktive Vergiftung. Er ist ein Kriegsopfer. Er gehört zur alltäglichen medizinischen Praxis, Fälle wie ihn eine Zeitlang in der Suspendierung zu halten, bis die Radioaktivität abgeklungen ist und sie gefahrlos wiederbelebt werden können. Also, was sagen Sie nun?«
    Sie sagte nichts. Sie starrte mich nur an. Überredend bestürmte ich sie weiter: »Rena, ich will Ihre Anschauungen gar nicht als Aberglaube oder so etwas bezeichnen. Bitte verstehen Sie mich richtig. Sie haben Ihren eigenen kulturellen Hintergrund und … Na ja, ich weiß, daß es so aussieht, als sei er eine Art ‚Untoter’ oder wie immer Sie es in Ihren Volksmärchen nennen. Ich weiß, daß es bei Ihnen Legenden über Vampire und Zombies und so weiter gibt, aber …«
    Jetzt lachte sie tatsächlich. »Tom, Tom«, sagte sie. »Sie reden über Mitteleuropa, nicht über Neapel. Und auf jeden Fall«, jetzt lachte sie nur noch mit den Augen, »glaube ich kaum, daß die Legenden davon sprechen, daß Vampire durch intravenöse Injektionen mit einer langsam zerfallenden Lösung aus Chlorpromazin und Pethidin entstehen – wenn ich die gebräuchliche Technik in den Kliniken richtig beschrieben habe.«
    »Verdammt noch mal«, brauste ich verärgert auf, »wollen Sie denn nicht, daß er gerettet wird?«
    Sie lachte nicht mehr. »Es tut mir leid, Tom. Ich wollte nicht unhöflich sein und Sie verärgern oder verletzen. Müssen wir das diskutieren?«
    »Ja.«
    »Also gut.« Grimmig und mit vorgeschobenem Kinn blickte sie mich an. »Mein Vater hat keine Strahlenvergiftung, Tom.«
    »Aber sicher.«
    »Sicher nicht. Er ist ein Gefangener, kein Patient.
    Weil er Neapel liebt, lassen sie ihn schlafen – fünfzig oder hundert Jahre, bis ihm alles, was er weiß und was er liebt, endgültig entwachsen ist. Bis es niemanden mehr kümmert, was er zu sagen hat. Sie bringen ihn nicht um – das haben sie gar nicht nötig! Sie wollen ihn nur aus dem Weg haben, weil er die Gesellschaft als das sieht, was sie ist.«
    »Und das wäre?«
    »Als Tyrannei, Tom«, flüsterte sie.
    »Rena, das ist albern!« platzte ich heraus. » Die Gesellschaft ist die Hoffnung der Welt. Wenn Sie so reden, bekommen Sie Schwierigkeiten. Das sind gefährliche Gedanken, Sie greifen die wesentlichsten Grundlagen unserer Sozialordnung, unserer Gesellschaftsordnung an.«
    »Ja, genau!«
    Sie stand vor mir und starrte mich mit wildem Blick an. Wir schrien aufeinander ein wie kleine Kinder. Ich brauchte eine Weile, um mich an eine der unbezahlbaren Regeln aus dem Handbuch für Anspruchsregler zu besinnen: Verliere niemals die Beherrschung, denke nach, bevor du sprichst. Wir sahen uns einen Moment wütend an, dann zwang ich mich selbst zur Ruhe.
    Erst jetzt erinnerte ich mich daran, daß ich etwas wissen mußte, über das sie mir vielleicht

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