Der Wolf
mit Haut und Haaren, dachte er. Zuneigung und Bewunderung verstärkten nur seinen Wunsch, sie zu töten. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, als verströmte sie eine magnetische Kraft, die er allein spürte.
Wie all die Eltern und anderen Zuschauer auf der Tribüne brüllte er laut: »Ja! Toll gemacht!«
Er schloss sein Notizbuch und steckte einen Drehbleistift in eine Jackentasche. Später würde er ungestört in seinem Arbeitszimmer nachlesen, was er sich an Beobachtungen aufgeschrieben hatte. Wie bei einem Journalisten waren die rasch hingekritzelten Notizen des Bösen Wolfs ein wenig kryptisch: In einzelne Stichworte wie
geschmeidig, gemein, zäh
oder
wild entschlossen
mischten sich ausführlichere Beschreibungen.
Scheint vom Spiel wie besessen, redet auf dem Spielfeld offenbar mit niemandem, weder mit ihren Teamkameradinnen noch den Gegnerinnen. Kein unnützes Gequatsche und keine ermunternden Zurufe. Kein Abklatschen mit den Kameradinnen. Keine Provokationen, kein Triumphgeschrei gegenüber dem Gegner. Kein selbstgefälliges Gehabe für die Zuschauerränge. Einfach nur volle Aufmerksamkeit und Intensität, die in jeder Minute des Spiels die der anderen neun Spieler auf dem Feld übertrifft.
Und noch eine verführerische Beobachtung:
Mit ihrem Haar sieht Rote Drei so aus, als stünde sie in Flammen.
Nur mit Mühe riss sich der Böse Wolf vom Anblick des Mädchens los, doch ihm war bewusst, dass er hier wie auf einer Bühne stand, und so zwang er sich, den Blick abzuwenden und ein paar andere Spielerinnen zu verfolgen. Es tat ihm fast physisch weh. Auch wenn er wusste, dass ihn niemand beobachtete, liebte er die Vorstellung, dass man ihn unablässig im Auge hatte. Folglich hatte er sich genau an die Regieanweisungen und seinen Text zu halten, um sich in nichts von den anderen Besuchern zu unterscheiden, die auf den hölzernen Tribünenreihen eingepfercht waren.
Um ihn herum standen die Leute auf und streckten die Glieder, bevor sie sich ihre Jacken und Mäntel griffen, oder, im Falle der Schüler, ihre Büchertaschen und Rucksäcke zusammenkramten. Während er in seine Jacke schlüpfte, warf er einen letzten verstohlenen Blick über die Schulter und beobachtete, wie die Mannschaft – mit Rote Drei als Schlusslicht – im Laufschritt das Feld verließ. In zwanzig Minuten sollte das Spiel der Jungen vom College beginnen, und so gab es ein Geschiebe zwischen den Leuten, die ihre Plätze verließen, und den Neuankömmlingen, die in die Halle drängten. Er setzte sich die Baseballkappe mit dem Namen der Schule auf. Er war davon überzeugt, dass er sich in nichts von einem Vater, Freund, Lehrer oder auch Ortsansässigen unterschied, der einfach nur gerne Schüler-Basketball sah. Auch hatte sicher niemand bemerkt, dass er sich Notizen gemacht hatte; es gab zu viele College-Scouts und lokale Sportreporter, die bei solchen Spielen ihre Schreibblöcke füllten, als dass sich irgendjemand über sein besonderes Interesse wundern würde.
Genau das liebte der Böse Wolf: wie ein gewöhnlicher Mensch auszusehen, obwohl er alles andere war. Er merkte, dass sich sein Puls beschleunigte. Er beobachtete die Leute in seiner Umgebung, die nach draußen drängten. Hat jemand von euch auch nur die geringste Ahnung, wer ich wirklich bin?, dachte er. Mit einem letzten Blick zur Tür der Umkleidekabinen sah er, wie das Haar von Rote Drei verschwand. Hast du eine Ahnung, wie nahe ich dir heute war?, hätte er ihr am liebsten ins Ohr geflüstert.
Auch wenn sie es nicht weiß, stehen wir uns näher als ein Liebespaar.
Der Böse Wolf begab sich in die Menschentraube, die aus der Turnhalle strebte. Er hatte viel zu tun, sowohl was das Schreiben anging als auch die Planung, und er wollte möglichst schnell in sein Arbeitszimmer, um beides in Angriff zu nehmen. Er überlegte, ob das, was er an diesem Tag gesehen hatte, genügend Stoff hergab, um ein neues Kapitel in seinem Buch zu beginnen, und dachte über einen guten Anfang nach. Im Geist schrieb er:
Rote Drei stand wilde Entschlossenheit ins Gesicht geschrieben, als sie sich mit aller Kraft den Rebound in der Luft fing. Ich glaube, sie hörte nicht einmal den Jubel, der ihr entgegenschlug. Obwohl sie wusste, dass ihr der Tod bevorstand, ließ sie sich davon nicht ablenken.
Ja. Das gefiel ihm.
Plötzlich hörte er eine leise, fröhliche Stimme neben sich. »Bist du absolut sicher, dass du dir nicht auch noch das Spiel der Jungen ansehen willst?«
Er zögerte einen Moment, bevor er
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