Der Wolf aus den Highlands
Donnell für seine Verbrechen büßen zu lassen und James wieder auf den Stuhl zu setzen, der ihm rechtmäßig zusteht.«
»Ihr habt nicht vor, ihm das andere zu geben, oder?«
Manchmal war Big Marta sehr scharfsinnig, dachte Annora. Sie seufzte. »Nay. Es enthält nichts, was ihn retten, aber vieles, was ihn verletzen könnte. Mary hat vielleicht bei vielen Leuten den Eindruck erweckt, schüchtern und süß zu sein, aber das, was in diesem Buch steht, weist darauf hin, dass sich hinter ihrer Nettigkeit eine ausgeprägte Grausamkeit verbarg. Ich nehme an, du hast James erzählt, was du von dieser Magd erfahren hast?«
Big Marta nickte. »Aye, wenn auch ungern, denn er war ein guter Gemahl, ein viel besserer, als diese Frau verdiente, selbst wenn sie ihn nicht mit MacKay hintergangen hätte.«
»Darin sind wir uns einig. Er weiß schon, dass sie ihr Ehegelübde mit Donnell gebrochen hat, und ist sich so sicher wie ich, dass sie zu seinem Verhängnis beigetragen hat, indem sie alle in dem Glauben ließ, er habe sie getötet. Ich denke, er braucht nicht zu wissen, dass sie ihn verachtet und darüber hinaus für einen miserablen Liebhaber gehalten hat.«
»Nay, das hat er nicht verdient. Aber seid Ihr Euch wirklich sicher, dass in dem Büchlein nichts steht, was ihm helfen könnte?«
»Ziemlich sicher. Wenn ich sonst nichts finde, werde ich es ihm geben. Vielleicht kann er damit zumindest gegen das Urteil auf Ächtung vorgehen.«
»Das klingt fair. Ihr könnt Euch getrost an mich wenden, wenn Ihr Beistand braucht, um einmal ungesehen aus der Burg zu schlüpfen und Euch am Bach umzusehen. Ich helfe, wo ich kann.«
»Danke. Doch jetzt sehe ich wohl lieber zu, dass ich wieder in mein Schlafzimmer schlüpfe, bevor Egan noch einmal hier herumschnüffelt.«
Annora machte sich eilig auf den Weg zurück in die Sicherheit ihrer Schlafkammer, wobei sie bei jedem Schritt nach Egan Ausschau hielt. Doch als sie an der Tür stand, überlegte sie es sich anders. Es konnte gut sein, dass Egan versuchen würde, in ihre Kammer einzudringen, ob verriegelt oder nicht. Sie war sich nicht sicher, ob die Tür ihm standhalten würde, wenn er entschlossen war, zu ihr zu kommen. Bestimmt würde er wütend sein, weil er von Donnell gerügt worden war, und es sähe ihm ähnlich, ihr die Schuld daran zu geben. Deshalb sah sie sich noch einmal gründlich um und eilte dann zu James’ Schlafkammer. Die Entscheidung war ihr ziemlich leichtgefallen, nicht nur, weil sie bei James vor Egan sicher sein würde. Auch wenn sie erst seit Kurzem seine Geliebte war, vermisste sie ihn, wenn er nicht neben ihr lag.
Schon nach einem hastigen, leisen Klopfen ging die Tür auf, und James zog sie in sein Zimmer. Annora wartete, bis er die Tür geschlossen und wieder verriegelt hatte. Einen Moment lang befürchtete sie, dass sie ihre Grenzen überschritten hatte, doch sein breites Grinsen, als er sich ihr schließlich zudrehte, sagte ihr, dass diese Sorge töricht war. Er strahlte richtig vor Freude. Das Unbehagen, das sie an ihm wahrnehmen konnte, kam bestimmt daher, dass sie so viel riskiert hatte, um zu ihm zu gelangen.
»Das war nicht sehr klug von dir, aber ich freue mich zu sehr über dich, um darüber zu klagen«, sagte er.
»Ich hatte die Befürchtung, dass ich vielleicht zu weit gegangen bin …«, fing sie an.
»Aber nein, Liebes, nie«, fiel er ihr ins Wort. »Wenn nicht an jeder Ecke die Gefahr lauern würde, entdeckt zu werden, bestünde überhaupt keine Notwendigkeit zu verheimlichen, was wir teilen.« Er schloss sie in die Arme und küsste sie. »Ich würde wie der größte Hahn im Hühnerhof herumstolzieren und mich vor jedem Mann damit brüsten, dass du mir gehörst.«
»Und vor jeder Frau, dass du mir gehörst?«, konnte sie sich nicht verkneifen zu fragen.
»Keine einzige Frau von hier bis nach London, dieser verfluchten Stadt, würde das je bezweifeln.« Er lehnte sich ein wenig zurück und musterte sie. »Aber mich beschleicht das Gefühl, dass es nicht nur meine charmante und äußerst stattliche Erscheinung ist, die dich heute Nacht hierher geführt hat.«
»Ich wollte mich sicher fühlen«, flüsterte sie.
In James regte sich Wut, auch wenn ihn ihre Worte tief berührten. Wut, weil sie Angst hatte – vermutlich war Egan ihr wieder einmal nachgestiegen. Wie gern hätte er den Mann umgebracht oder zumindest nach Strich und Faden verprügelt, aber das musste warten; diesem Wunsch auf der Stelle nachzugeben wäre momentan einfach
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