Der Wolf aus den Highlands
dringend nötig, endlich auf ein paar Antworten zu stoßen. Sie hoffte nur, dass diese Antworten James nicht noch mehr Leid zufügen würden, als er ohnehin schon erlitten hatte.
»Ich kann ihn das nicht sehen lassen«, erklärte Annora dem Kater, der auf ihrem Schoß saß und schnurrte.
Sie starrte auf das Buch in ihren Händen und fragte sich, was sie jetzt tun sollte. Donnells Pläne waren nur am Rande erwähnt, offenbar war Mary nicht besonders interessiert daran, wie sie das bekam, was sie haben wollte. Aber die Frau hatte immer wieder sehr deutlich erklärt, dass sie James nur geheiratet hatte, weil Donnell es so gewollt hatte. Annora fiel es schwer, sich Donnell als jemanden vorzustellen, der eine Frau so völlig in seinen Bann schlagen konnte, dass sie Dinge tat, wie sie Mary für ihn getan hatte. Für Annora war er nach wie vor ausschließlich der eitle Tyrann, der er nun einmal war. Doch Mary hatte sich in mehreren Einträgen ausführlich darüber ausgelassen, wie ungern sie das Bett mit James teilte. Diese grausamen Worte wollte Annora James nicht lesen lassen.
»Ach, Mungo, ich weiß nicht, was ich tun soll. In diesem Buch wird bestätigt, dass Donnell und Mary ein Liebespaar waren, schon bevor Mary James geheiratet hat. Offenbar hat James nicht gemerkt, dass seine Gemahlin nicht mehr unschuldig war. Vielleicht hat sie ihn auch mit einer List dazu gebracht, es nicht zu bemerken. Aber leider steht in diesem Buch nicht viel darüber, wie sie James loszuwerden planten. Es gibt nur ab und zu einen kleinen Hinweis, und das Buch endet einige Monate vor Marys angeblichem Tod im Feuer. Weißt du was – ich glaube, irgendwo ist noch ein weiteres versteckt.«
Mungo stupste sie mit dem Kopf, und sie folgte dem stummen Befehl und kraulte ihn hinter den Ohren. »Ich denke, ich werde dieses Buch verstecken und mich auf die Suche nach dem anderen machen. Es muss noch ein anderes geben. Nach allem, was ich gerade gelesen habe, war Mary eine Frau, der es sichtlich Freude bereitet hat, all ihren Kummer niederzuschreiben, ob er nun echt war oder eingebildet. Sie hat jede Seite damit vollgekritzelt.«
Vieles war einfach nur das Gejammer eines verwöhnten Kindes, das nicht alles bekommt, was es will, dachte Annora verstimmt. Die meisten Frauen wurden mit Männern verheiratet, die ihre Familien für sie ausgesucht hatten. Immerhin hatte Mary einen Mann bekommen, der jung war und gut aussah, und darüber hinaus an sein Ehegelübde glaubte und es hielt. Er war seiner Frau treu geblieben, obwohl sie oft genug festgestellt hatte, wie abscheulich sie die körperliche Liebe mit ihm fand. Jemand hätte diese Frau einmal kräftig schütteln sollen, um sie zur Vernunft zu bringen, dachte Annora. Doch stattdessen hatte Mary Donnell für ihre große Liebe gehalten, für den besten aller Männer. Und dieser Irrtum hatte sie das Leben gekostet, daran hegte Annora inzwischen nicht mehr den geringsten Zweifel.
Sie legte ihren sanft schnarchenden Kater aufs Bett und beschloss, sich sogleich auf die Suche nach dem anderen Tagebuch zu begeben. Bestimmt hatte Mary auch dieses Buch an einem Ort versteckt, den sie häufig aufsuchte. Warum Mary oft in den Wald gegangen war, oft genug jedenfalls, um dieses schlaue Versteck zu finden, wusste Annora nicht, und es war ihr auch gleichgültig. Aber wenn die Frau oft zu dem Cottage im Wald gegangen war, konnte sie dort auch etwas versteckt haben. Dass das Cottage abgebrannt war, hieß nicht unbedingt, dass ein verstecktes Tagebuch das gleiche Schicksal erlitten hatte.
Annora verließ seufzend ihr Schlafzimmer. Ihre Bewacher waren erfreulicherweise nicht zu sehen. Doch sie sorgte sich, wie lange sie wohl brauchen würde, um das andere Tagebuch zu finden, und wie oft sie Gelegenheit haben würde, danach zu suchen. Einen Moment lang geriet ihre Gewissheit ins Wanken, doch dann schüttelte sie den Kopf. Instinktiv wusste sie, dass es noch ein weiteres Tagebuch geben musste und darin die Dinge standen, die James zur Freiheit verhelfen würden. Und sie hatte vor langer Zeit gelernt, ihrem Instinkt zu vertrauen.
Plötzlich fiel ihr ein, wen sie nach Marys Lieblingsorten fragen konnte, und sie eilte nach unten in die Küche. Beinahe hätte sie laut geflucht, als sie um eine Ecke bog und mit Egan zusammenstieß. So rasch sie konnte, entfernte sie sich von der Wand. Sie wollte wahrhaftig nicht noch einmal von Egan an eine Wand oder sonst eine harte Fläche gedrängt werden. Aber ihr momentaner
Weitere Kostenlose Bücher