Der Wolf
Wölfen und er war, wenn
ich das so sagen darf, durch meine umfassende Kenntnis
der animalischen Ökologie, mit der ich gerade frisch von
der Universität gekommen war, neugierig geworden. Wir
unterschieden und ergänzten uns in vielen anderen großen wie kleinen Dingen und lernten schnell, diese Verschiedenheit nicht nur zu respektieren, sondern für den Erfolg
unseres gemeinsamen Unternehmens einzusetzen.
Es war aufregend und man musste mit so viel Unvorhersehbarem rechnen, wenn man den Wölfen zwischen
Herden und Ländereien folgte und sich dabei in politische
Schlachten mit Hirten und Züchtern verwickelte.
Vieles davon ist in diesem Buch festgehalten, das jetzt
wenige Monate nach Eriks vorzeitigem Tod, wieder veröffentlicht wird und das, vor allem wegen der Fülle der
behandelten Themen, heute noch als eines der schönsten
Werke gelten kann, die jemals über den Wolf geschrieben
wurden.
Unter den Wissenschaftlern, die das komplexe soziale
Gefüge innerhalb eines Wolfsrudels erforscht haben, war
Erik einer der bedeutendsten und er tat dies von Grund auf
und hingebungsvoll, wie es seinem Charakter entsprach.
Einige seiner Ableitungen und Schlussfolgerungen waren
sehr umstritten, etwa die über die hierarchischen Strukturen innerhalb eines Rudels, sie blieben aber gleichwohl
ein Markstein der Ethologie des Wolfes, mit dem sich auch
heute noch jeder Forscher auseinander zu setzen hat.
Unerreicht sind bis heute die von Erik geleiteten Untersuchungen über Wölfe in Gefangenschaft, sowohl in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht.
Aber dieses Buch lässt die Biologie hinter sich und wendet sich ungewohntem Terrain zu, beispielsweise den historischen Beziehungen zwischen Menschen und Wölfen, wie
sie durch wahre Geschichten, Mythen, Legenden und ideologische Interpretationen bezeugt sind. Ein Biologe bewegt
sich hier auf einem Minenfeld, da er normalerweise nicht
über die Hilfsmittel des Fachmanns verfügt, aber Erik hatte
eine natürliche Begabung für die Anthropologie.
Unsere gemeinsame Zeit war geprägt von endlosen Diskussionen, verrückten Spekulationen und intellektuellen
Herausforderungen. Erik verspürte stets das Bedürfnis, seinen Gesprächspartner zu verblüffen, ich ließ mich gerne
auf die Herausforderung ein und was daraus wurde, kann
man immer wieder auf den Seiten dieses Buches finden.
Der Wolf ist eine faszinierende und komplexe Spezies
und man vermag ihn nur dann richtig zu erforschen, zu
interpretieren und anderen zu vermitteln, wenn man ein
wenig wie er selbst ist. Zum erfolgreichen Studium des
Wolfes gelangt man nicht allein durch schulische Vorbereitung, Hingabe an seinen Gegenstand oder brillante wissenschaftliche Einfälle, vielmehr braucht es darüber hinaus eine Verwandtschaft im Wesen und im Charakter. Ich
bin der Auffassung, dass Erik charakterlich viel mit den
Wölfen gemeinsam hatte und genauso, wie eine oberflächliche Lektüre nur ein stark verzerrtes Bild der wirklichen
Lebensweise eines Wolfes zeigen kann, würde jemand, der
Erik nur wenig kennt, daraus nur einen sehr beschränkten
Eindruck von seiner Person erhalten.
Eine undifferenzierte Literatur über das Verhalten des
Wolfes erzählt uns von einem Rudel, in dem strenge hierarchische Regeln gelten, jeder seine festgelegte Rolle hat,
der Tagesablauf bestimmt ist von der Jagd und der Verteidigung des Reviers, alles in allem ein sehr ernsthaftes,
wenn nicht martialisches Bild. Dagegen lehrt uns die Realität, dass wir es mit einem Tier zu tun haben, das die meiste Zeit im Spiel mit den anderen Wölfen seines Rudels verbringt, dessen Beziehungen innerhalb des Rudels wie im
Kontakt zu anderen Rudeln sich als außergewöhnlich komplex und flexibel erweisen und das auf jeden Umweltreiz
aufmerksam und mit wacher Neugierde reagiert.
So war auch Erik. Nur wer ihn nicht wirklich kannte,
konnte bei ihm den Eindruck zu großer Strenge und intellektueller Aggressivität haben, allen anderen gegenüber offenbarte er sich als neugierige und außergewöhnlich wissbegierige Person, die die unterschiedlichen Erscheinungsformen
des Lebens in sich hineinschlang, mochten sie sich nun im
beruflichen Bereich, in Gefühlen oder im Spiel äußern.
Und mit Sicherheit machten die beiden letztgenannten
Aspekte den überwiegenden Teil seines Lebens aus, auch
wenn er sich dessen ein wenig schämte, ja manchmal regelrechte Schuldgefühle hatte, wenn er beispielsweise mit
abwegigen Begründungen professioneller Natur seine völlige
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