Der Wolfsmann
ihm das Gefäß hinhalten, bis er mit diesem Teil der Prozedur fertig war.
Dann stand er wieder schweigend und mit gesenktem Kopf vor dem Standbild, um neue Kraft aus dem Dämon in sich zu schöpfen. Er begann einen seltsamen Singsang, und die Stimme, die aus seiner Kehle kam, schien nicht mehr seine eigene zu sein. Sie war dunkel und eindringlicher, als Drundyrs Stimme jemals gewesen war.
Nyala reichte ihm, was er brauchte. Sie tat es gerade so, als hätte sie ihm zeit ihres Lebens als Handreicherin gedient. Drundyr legte Tierknochen - oder die von Menschen? - in einem Halbkreis vor der Statue auf den Boden. Wieder stand er hoch aufgerichtet davor und hob die Arme zum Himmel. Seine Finger wurden zu Krallen, die in die Dunkelheit griffen und sie herabzuziehen schienen.
Und tatsächlich wurde das Licht der Fackeln in den Händen der Krieger schwächer. Einige flackerten und erloschen. Die
Dunkelheit verschluckte alles. Drundyr, Corchwll, Nyala und der Altar wurden den Blicken der Krieger durch schwarze Rauchschwaden entrückt, die direkt aus dem Boden aufstiegen und sie einhüllten. Nur der Kopf des Dämons war jetzt noch sichtbar. Die schwarze Wolke erreichte auch ihn, als sie sich langsam hob. Drundyr und Nyala wurden wieder sichtbar, nur der Wolfskopf blieb nun hinter ihr verborgen.
Bis er rot zu glühen begann!
»Erwache, mächtiger Corchwll!« war Drundyrs helle Stimme bis weit in die verlassenen Straßen der Stadt hinein zu hören. »Erwache und leihe deine Kraft denen, die dir dienen sollen! Steig auf aus der Finsternis und lebe! Lebe!«
Vollkommene Stille.
Drundyr nahm Nyalas Hand und ging mit ihr zum Altar zurück, das Gesicht dem rotglühenden Wolfskopf zugewandt. Durch die Wolke, die jetzt wie dichter Nebel um ihn war, wirkte er noch monströser, noch größer und gewaltiger.
Und die bösartigen Impulse wurden stärker. Das, was von der Statue ausging, drang in die Gehirne der Caer, ließ sie selbst zu Statuen werden, brannte jeden inneren Widerstand gnadenlos aus.
Niemand wagte zu sprechen. Drundyr und Nyala standen völlig still hinter dem Altar und schienen auf etwas zu warten.
»Erwache, mächtiger Corchwll!« wiederholte Drundyr schließlich seine Beschwörung. »Steig aus der Finsternis und lebe!«
Und jetzt erhielt er eine Antwort.
Plötzlich ertönte aus der Ferne gespenstisches Geheul und Gejaule. Die Körper der Caer zuckten, doch das, was ihre Gehirne umklammert hielt, ließ sie nicht los. Wie Marionetten drehten sie sich und starrten blicklos in die Nacht.
Das Geheul schwoll an. Es musste aus Dutzenden von Kehlen kommen. Es näherte sich, steigerte sich zu einem einzigen langgezogenen, durchdringenden Ton, der die Trommelfelle der Caer gepeinigt hätte, wenn sie jetzt in der Lage gewesen wären, Schmerzen zu empfinden.
Plötzlich waren sie da. Von allen Seiten strömten riesige schwarze Wölfe heran, quollen aus den sternförmig auf den Marktplatz zulaufenden Straßen und kleineren Gassen, rannten zwischen den Caer-Kriegern hindurch und versammelten sich hechelnd und heulend um die Statue. Immer mehr wurden es, bis der Marktplatz voll von ihnen war. Dämonisch leuchtende gelbe Augen blitzten überall in der Dunkelheit auf und bewegten sich wie glühende Edelsteine. Die Wölfe umkreisten die Statue und den Altar mit Drundyr und Nyala. Rastlos hasteten sie umher, sprangen an der Statue hoch und fletschten die Fänge.
Wieder begann Drundyr mit seinem monotonen Gesang, und wieder war es nicht die Stimme des Caer-Priesters. Je lauter sie wurde, desto ruhiger wurden die schwarzen Wölfe. Sie schlichen bald nur noch um die Statue herum, hechelnd und mit glühenden Augen, bis sich die ersten von ihnen setzten.
Das Auftauchen der Bestien war noch nicht der Höhepunkt der Zeremonie gewesen. Es leitete ihn lediglich ein. Drundyrs Gesang steigerte sich immer noch, bis auch der letzte Wolf saß. Dann verstummte er abrupt.
»Nun komme selbst, mächtiger Dämon!« rief Drundyr aus.
Und er kam. Die Wölfe sprangen heulend auf. Sie und die Caer bildeten eine Gasse.
*
Mythors Herz schlug wild. Kalathee hatte ihr Gesicht in den Händen verborgen, um nicht länger mit ansehen zu müssen, was draußen geschah. Sie weinte leise. Sadagar war bei ihr und redete auf sie ein - er fand nicht die Worte, um sie zu beruhigen. Sadagar war selbst froh, einen Grund gefunden zu haben, nicht aus dem Fenster blicken zu müssen.
Mythor und Nottr hockten nebeneinander vor der breiten Fensterbank, auf der noch
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